Der Hang zum Rechtsextremismus

Versuch, die Person Hitler aus der Sicht der Individualpsychologie Alfred Adlers zu beleuchten, heutige Rechtstendenzen damit in Verbindung zu bringen und daraus politische Schlussfolgerungen zu ziehen


1945 war eine der ersten Maßnahmen der provisorischen österreichischen Regierung unter Karl Renner das Verbot der NSDAP, auf nationalsozialistischer Betätigung stand sogar die Todesstrafe, Mitglieder der NSDAP waren vom Wahlrecht ausgeschlossen, mussten sich registrieren lassen und hatten sich einem Verfahren zu unterziehen, das ihre Mitverantwortung am NS-Regime beurteilen sollte. Dieser straffe Antifaschismus verlief sich bald im Sande, zu viele wären betroffen gewesen. Nach der Zulassung der ehemaligen (??) Nationalsozialisten zu den Wahlen im Jahre 1949 (Verband der Unabhängigen) reduzierte man den Antifaschismus von 1945 weit gehend auf Sonntagsreden, in der Praxis wurde er zum Tabu und blieb es bis etwa in die Zeit der Waldheim-Affäre: Damals war die NS-Generation biologisch schon ziemlich reduziert, die unter der Hand erfolgte Tradierung nationalsozialistischen Gedankengutes sorgte aber noch immer dafür, dass unser Land sich nicht endgültig von dieser Ideologie lösen konnte. In Braunau z.B. hatte man sich in den Achtzigerjahren durchaus sehr aktiv mit der Erbschaft auseinandergesetzt, die Geburtsstadt Hitlers gewesen zu sein. Vor dem berüchtigten Geburtshaus stellte man einen Gedenkstein auf, der vor dem Faschismus warnte und man bereitete die Errichtung eines Jägerstätters-Brunnens und die Benennung einer Jägerstätterstraße vor. Aber dann überkam den größten Teil der SP-Gemeinderäte die Angst vor der eigenen Courage. Man wollte es offenbar nicht auf weitere deutliche Konfrontationen mit dem Nationalsozialismus ankommen lassen und revidierte die Beschlüsse bezüglich Jägerstätter-Brunnen und Jägerstätterstraße. Es wäre billig, jetzt hier zu behaupten, die Mehrheit der für die Aufhebung dieser Gemeinderatsbeschlüsse verantwortlichen SP-Funktionäre hätte eben nicht aus Sozialisten, sondern aus Nationalsozialisten bestanden, aber berechtigt ist wohl die Feststellung, dass deren Berufung darauf, die "Kriegsgeneration" nicht vergrämen zu wollen, deutlich zum Ausdruck brachte: Kriegsgeneration = Nationalsozialisten. Erst 2006 traute man sich über die Einrichtung eines "Jägerstätter Parks" in Braunau.

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Franz Jägerstätter wollte nicht für die Nazis kämpfend irgendeine "Pflicht erfüllen" und wurde
deswegen hingerichtet - sein konsequentes, seiner eigenen Gesinnung treues Verhalten haben
die so braven und so anständigen und so NS-gesinnungstreuen Volksgenossen nie verziehen.

nicht nur die SS-Kameraden, auch andere Zeitgenossen und ihr Anhang:
Gesinnungstreue zum Führer bis zum Ende

Was WAR oder IST "das Schöne" am Nationalsozialismus?

Warum werden in Österreich weitaus leichtgängiger Linke jedweder Provenienz ausgegrenzt als Rechtsextremisten, soweit sie nicht gerade Bomben schmeißen? (Wobei der Fall der Bajuwarischen Befreiungsarmee zeigte, dass nicht einmal dies zutrifft: Der Rechtsextremist Franz Fuchs wurde flugs zum unpolitischen Narren befördert, speziell von der Zeitung, die allemal das größte Verständnis für Hitlers Heerscharen kundzutun pflegt).

Ich möchte nun hier behaupten, die Ursache liegt darin, dass die Person des Adolf Hitler ähnliche Deformationen aufwies, wie sie in nicht sehr schmalen Bevölkerungskreisen ebenfalls auftraten und auftreten. Hitler war der Brennpunkt, die Inkarnation, die Verallgemeinerung von weit verbreiteten Anschauungen, Einstellungen, Wünschen und Hoffnungen.

Der deutsche Publizist Hermann Glaser schrieb in der Einleitung zu seinem Buch "Spießer-Ideologie" (Fischer-Verlag 1985):
"Den Alltagsmenschen hätte der Nationalsozialismus nicht derart mobilisieren und in Dienst nehmen, derart widerstandslos gleichschalten können, wenn seine "Führer" nicht Kitsch-Menschen par excellence gewesen wären. Zur Alltäglichkeit der Gewalt gesellte sich die Faszination der Gewalt. Menschenverachtung und Menschenvernichtung sind "überwölkt" von einer korrumpierten Ästhetik, bei der an die Stelle der Einheit von Sinn und Form die Einheit von Ideologie und Propaganda tritt. Vor allem Adolf Hitler (..) beherrschte das Instrumentarium der Kitschpropaganda deshalb so vollkommen, weil er auf der anderen Seite selbst ein "vollendeter" Kitsch-Mensch war.."

Exkurs über die Individualpsychologie Alfred Adlers

Alfred Adler (1870 - 1937) hatte sich längere Zeit mit dem Phänomen befasst, dass Menschen mit Behinderungen (Organminderwertigkeiten) häufig erstaunliche Leistungen zu deren Kompensation vollbringen. Im Buch Studie über die Minderwertigkeit von Organen publizierte er 1907 seine Beobachtungen dazu. In der Folge formte sich daraus folgende Theorie:

Der Mensch ist ein Lebewesen, das von Natur aus schlecht "ausgestattet" ist, er wäre nicht in der Lage gewesen zu überleben, wenn er kein in Gemeinschaften lebendes Wesen wäre. Das Kind nun, wenn es in den ersten Jahren seines Lebens die Erfahrung macht, einerseits auf die Hilfe und Fürsorge seiner Umwelt angewiesen zu sein und andererseits feststellt, dass seine Mitmenschen (Eltern, größere Geschwister usw.) größer, stärker, geschickter, klüger sind, fühlt sich verkürzt, unvollkommen, ausgeliefert, minderwertig. Es entwickelt ein übermächtiges Gefühl seiner Minderwertigkeit und formt daraus einen Lebensplan, eine Lebenslinie, sich aus diesem Gefühl der Minderwertigkeit zu befreien und in einen Zustand der Ausgeglichenheit, der Überlegenheit, der Sicherheit, der Vollkommenheit zu gelangen. Dieses Streben von der Minderwertigkeit zur Überlegenheit formt das menschliche Seelenleben entscheidend für das gesamte Dasein, gibt Sinn und Ziel. Da dieser Vorgang zu einem Zeitpunkt vor sich geht, an dem das Kind noch nicht in der Lage ist, dieses Geschehen zu artikulieren, bleibt es unartikuliert und erscheint dadurch als "unbewusst". Adler lehnt den Begriff des "Unbewussten" jedoch ab und zieht im Menschen keine Grenzen zwischen bewussten und unbewussten Bereichen, sondern spricht vom Unverstandenen, dem Verstehen Entzogenen, weil eben das Kind dafür weder zureichende Sprache noch zureichende Begriffe hat. (Der Sinn des Lebens, Fischer-Verlag, Seite 25)

Als Gegenpol zum Streben nach Überlegenheit sieht Adler den Gemeinschaftssinn, das Gemeinschaftsgefühl, weil der Mensch nicht allein leben kann, sondern auf das Zusammenwirken mit den Mitmenschen angewiesen, davon abhängig ist. Das ausgewogene Verhältnis in der Bewältigung des im kindlichen Alter erworbenen Minderwertigkeitsgefühls mit der des Gemeinschaftssinns ergibt einen seelisch gesunden Menschen. Je unausgeglichener das Verhältnis ist, je unbefriedigender das Streben nach Überlegenheit verläuft, je schwächer das Gemeinschaftsgefühl ausgebildet wird, umso stärker werden die psychischen Störungen des betreffenden Menschen sein.

Das Kind, welches zwar schon in der Lage ist, seine eigene Unzulänglichkeit zu empfinden, aber nicht diese Empfindung zu artikulieren und vor allem auch nicht die Ereignisse des Lebens als eine dialektische Abfolge von Ursachen und Wirkungen zu erkennen vermag, lebt in einer magischen Welt: Seine Empfindungen, Bedürfnisse und Wünsche sind das Beherrschende, das Streben, die eigene Unzulänglichkeit zu überwinden, weist dadurch einen ausgeprägt magischen Zug auf, den Adler als "Gottähnlichkeitsstreben" bezeichnet.

Der Lebensplan, die Lebenslinie jedes Menschen wird individuell nach seiner kindlichen Situation geformt und bleibt als Charakter, als Leitlinie für jedes Handeln im Leben unverrückbar erhalten - das grundsätzlich Gleiche an diesen Linien oder Pläne ist das Bestreben, Niederlagen zu vermeiden und Siege zu erringen, der Minderwertigkeit zu entgehen, Überlegenheit zu erreichen, von der Unvollkommenheit zur Vollkommenheit zu streben. Dieses Ziel kann nun auf verschiedenste Weisen angegangen werden: Durch egoistisches Streben nach oben, Ellbogentechnik und Rücksichtslosigkeit, oder durch das Zurückweichen vor jeder Konfrontation, das Vermeiden jeder Bewährungsprobe, das Umgehen aller Konflikte, oder auch durch aktive oder passive Anpassung an die Gemeinschaft.

Jeder Mensch ist für sich der einzige, schließlich denkt er mit seinem Kopf, nur mit sich ist man in Einheit, alles andere ist Bestandteil unserer Außenwelt. Daraus ergibt sich der perspektivische Fehler der unendlichen Bedeutung jedes einzelnen für sich selbst im Gegensatz zur Bedeutungslosigkeit eines Individuums unter Milliarden, was den Stellenwert des Selbstwertgefühls unseres Ichs in der Beziehung zur Gemeinschaft deutlich macht: Die Existenz oder Nichtexistenz eines Menschen ist in der Regel für das Menschengeschlecht von sehr geringer Bedeutung, für den Betroffenen kann es hingegen nichts von größerer Wichtigkeit geben. Die eigene Wichtigkeit gegenüber der Gemeinschaft auszudrücken, ist der wesentliche Inhalt unseres Daseins.

Adler hat dem Gemeinschaftssinn, dem Gemeinschaftsgefühl die positive Rolle in seiner Theorie zugewiesen. Als Gegensatz zum egozentrischen Streben nach eigener Überlegenheit sollte die Zuwendung des Menschen zur Gemeinschaft, seine Anstrengung für das Interesse der Gemeinschaft stehen. Gemeinschaft, das war Gott, Mythos und Ziel des Vollkommenheitsstrebens. In Adlers Arbeit bei der Behandlung neurotischer Personen hat deren krankhafte Abweichung von der Norm und deren Leiden an dieser Abweichung eine tragende Rolle gespielt. Bei diesem Versuch hier, Adlers Theorie zur Erklärung gesellschaftspolitischer Fragen zu verwenden, ist sein "ewiger Wert", sein Ziel des Strebens nach einer vollkommenen Eingliederung des Menschen in eine vollkommene Gesellschaft mehr hinderlich als hilfreich, ja es scheint sogar so zu sein, dass der Gemeinschaftssinn auch in extrem negativen Erscheinungen auftreten kann: Es hat kaum eine menschliche Gemeinschaft gegeben, in der das Gemeinschaftsgefühl so missbraucht, so pervertiert wurde, wie in der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft.

(Ende des Exkurses)

Deutsch, deutscher am deutschsten

Aber auch der Nationalsozialismus hat den Gemeinschaftsaspekt nicht erfunden, sondern nur benützt.
Denn das Individuum empfindet nicht allein für sich Minderwertigkeit und Überlegenheit, es findet diese Gefühle auch in der Gemeinschaft vor. Vaterländische Gefühle, die das "eigene Volk" stark oder schwach, minderwertig oder hochwertig erscheinen lassen, haben auch unmittelbare Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl des einzelnen, wenn er sich besonders dieser vaterländischen Gemeinschaft zugehörig fühlt.

Die Hervorhebung der Gruppe, der man sich selbst zurechnet, hat noch nichts mit Patriotismus oder Rassismus zu tun. Dieser Ethnozentrismus kommt so gut wie überall vor und ist umso stärker, je eingeschränkter der Kontakt der betreffenden Gruppe mit der übrigen Welt ist. Ethnozentrismus ist die "ursprüngliche Haltung des ´Wilden´." (vgl. Poliakov, Über den Rassismus, Ullstein, S. 36ff). Er kann als "normales" menschliches Verhalten zur Sicherung der Identität und des Fortbestehens einer bestimmten Gruppe gesehen werden, wenn er nicht darauf ausgerichtet ist, andere zu verfolgen oder zu beherrschen, sondern eher ein Ausweichen oder misstrauische Zurückhaltung verursacht.

Wenn wir in der Geschichte zurückblicken, sehen wir, dass es so etwas wie Patriotismus im Zeitalter des Feudalismus für die breite Masse der Bevölkerung überhaupt nicht gegeben hat. Der Feudalherr war in erster Linie HERR und nicht Symbol einer Gemeinschaft. Nationale oder staatliche Gemeinschaftsgefühle konnten sich erst mit dem Entstehen des Kapitalismus auf breiterer Basis bilden, in einer Zeit, in der die Konkurrenz von Staaten und Nationalitäten spürbare Auswirkungen auf das Leben hatte. Im deutschsprachigen Gebiet hielt sich die feudale Herrschaftsstruktur besonders lange, als das "Heilige römische Reich deutscher Nation" im Jahre 1806 sein Ende fand, war dies nicht das Ende der feudalen Vorherrschaft wie in England oder Frankreich, sondern lediglich das Verschwinden einer ohnedies schwachen Zentralgewalt. Das deutsche Reich bestand nun nur aus zahlreichen, meist recht kleinen Grafschaften und Fürstentümern, völlig ungeeignet, einen Anteil an der Aufteilung der Welt durch den aufstrebenden Kapitalismus zu erreichen. Die deutschnationale Bewegung entstand als eine antifeudale, die diese Kleinstaaterei überwinden und ein geeintes und damit mächtiges Deutschland am Welt-Kuchen teilhaben lassen wollte.

Es dauerte bis 1866 (Sieg Preußens über Österreich im Kampf um die Vormacht) und 1871, als ein deutsches Bündnis unter Preußens Führung Frankreich besiegte und das "Zweite Reich" gegründet wurde. Der Patriotismus der Deutschnationalen konnte sich nun mehr entfalten, das lange vermisste "deutsche Reich" war wirklich geworden, die Welt allerdings mittlerweile weit gehend aufgeteilt. Für die herrschende Klasse und ihre Nutznießer wurde der Begriff "deutsch" zu einem wesentlichen Bestandteil ihres Selbstwertgefühls, das Bekenntnis zur deutschen Nation daher überwältigend: "Der Nationalismus fand seine höchste Krönung im Worte 'deutsch'. Das als Adjektiv die Eigenschaft und als Substantiv das Haupt-Wort schlechthin darstellte. Was deutsch war, blieb unübertroffen, was unübertroffen war, nannte man deutsch", schreibt Hermann Glaser (Spießerideologie, Seite 131). In der Umkehrung musste alles Negative und Unangenehme das Adjektiv "undeutsch" und alles "Undeutsche" dieselbe abgrundtiefe Verdammung, wie das "Deutsche" seine grenzenlos übertriebene Überhöhung erhalten.

Auch das Entstehen von Rassentheorien kann man in diese Zeit, Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts, verlegen. Rassentheorien waren immer eine verzerrte Widerspiegelung wirklicher Verhältnisse, die geistige Rechtfertigung für bestehende oder anzustrebende Zustände.

Als erster Vertreter einer systematischen Rassentheorie gilt der Franzose Joseph Arthur de Gobineau. Sein Hauptwerk "Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen" erschien in den Fünfzigerjahren des 19. Jahrhunderts und war eine Art Schwanengesang des französischen Feudalismus. Gobineau versuchte zu begründen, dass die untergegangene Aristokratie rassisch höherwertig gewesen sei als der Rest des Volkes. Er teilte die Menschheit in die weiße, gelbe und schwarze Rasse, die er in sich wieder unterteilte; so wären die Germanen unter den Weißen wiederum deren beste und bildeten den "Adel der Menschheit" (und natürlich auch die französische Aristokratie, der auch Gobineau angehörte und die sich als Nachkommenschaft der Franken betrachtete).

Nach Gobineau entstanden die sozialdarwinistischen Theorien, mit dem "Kampf ums Dasein", in dem sich der Tüchtigere, Bessere durchsetze: Der Konkurrenzkampf im Kapitalismus und Imperialismus wurde somit als menschliche Ausformung von Futter- und Fortpflanzungskämpfen im Tierreich betrachtet und gerechtfertigt. Der Große frisst den Kleinen, der Schwache ist der Knecht, der Starke der Herr (vgl. z.B. Patrick von zur Mühlen, Rassenideologien - Geschichte und Hintergründe).

In der Hauptsache sind diese rassistischen Theorien ideologische Rechtfertigung des Kolonialismus, von Ausbeutung und Unterdrückung. Heute, in der Zeit der Entschlüsselung der Gene, hat man aufgehört, wissenschaftlich von "Menschenrassen" zu sprechen, der genetische Unterschied ist zu gering. Der Begriff "Rasse" soll hier als Bezeichnung für die unterschiedliche äußere Erscheinungsform von Menschen stehen.

Wodurch kam es wirklich zur Ausbildung dieser "Rassen" und den offensichtlichen Unterschieden in der Entwicklung der Völker?

Marx sagt dazu in einer Nebenbemerkung: "(..) wir können hier natürlich weder auf die physische Beschaffenheit der Menschen selbst noch auf die von den Menschen vorgefundenen Naturbedingungen, die geologischen orohydrographischen (= Gebirgs- und Wasserverläufe betreffenden), klimatischen und anderen Verhältnisse eingehen. Diese Verhältnisse bedingen aber nicht nur die ursprüngliche, naturwüchsige Organisation der Menschen, namentlich die Rassenunterschiede, sondern auch ihre ganze weitere Entwicklung oder Nicht-Entwicklung bis auf den heutigen Tag." (Marx-Engels-Werke III, Seite 21)

Die menschlichen "Rassen", die Art ihrer kulturellen Entwicklung, die erreichte Entwicklungsstufe sind also ein Produkt der allgemeinen Lebensbedingungen und nicht etwas bloß Ererbtes und gar Unveränderbares. Alfred Adler hat sich immer vehement gegen Theorien gewehrt, die besagten, dass der Mensch bei der Geburt sozusagen schon fertig programmiert sei, er betonte, dass bestimmte angeborene Merkmale nur Möglichkeiten darstellen, die benützt werden können, der entscheidende Inhalt der Lebenspläne aber erst in der Kindheit ausgeformt werde.

Wie alles Leben unterliegt auch der Mensch der Akkumulation kleiner Veränderungen, der kumulativen Selektion. Von den Erscheinungen der Natur setzen sich im Zeitlauf diejenigen durch, die für die Gesamtheit der Existenzbedingungen die besten Voraussetzungen besitzen oder entwickeln. Das ist der Knackpunkt der Sozialdarwinisten, die schlussfolgern, dass es ein Recht des Stärkeren geben müsse, dass sich nur der Tüchtige durchsetzt und der Schwache unterworfen oder beseitigt werden muss. Wie in so vielen Weltanschauungen, liegt auch hier eine Verwechslung von Ursache und Wirkung vor: Zum einen als Spiegelung gesellschaftlicher Verhältnisse (kapitalistisches Konkurrenzdenken), zum anderen als Rechtfertigung der eigenen Herrschaftsansprüche. Nun ergibt die naturwüchsige Entwicklung der Lebewesen ja keineswegs als Resultat lauter starke Tüchtige (sonst liefen auf der Erde wohl nur noch Schwarzeneggers mit Einstein-Hirnen umher) sondern für bestimmte Bedingungen adäquate Typen. Darum sind die Pygmäen einen halben bis einen dreiviertel Meter kleiner als die Watussi, haben nicht die Germanen die künstliche Bewässerung erfunden und stammen die ersten Gesetzesvorschriften nicht vom englischen Parlament, sondern vom babylonischen König Hammurapi. Die verschiedenen kulturellen und geistigen Entwicklungen der Menschheit sind somit nicht die Folge von a priori vorhandenen besonderen Fähigkeiten oder des Fehlens derselben, sondern bestimmter materieller Verhältnisse. Wer nicht friert, braucht sich nicht zu kleiden, wer Nahrungsmittel im Überfluss vorfindet, braucht keinen Ackerbau zu entwickeln und wer ständig um seine nackte Existenz kämpfen muss, wird sich nicht mit Astronomie befassen: Aber unter anderen Bedingungen wird er sich anders verhalten, anders entwickeln. Ferner ist grundsätzlich anzumerken, dass sich letztlich im gesamten Dasein jeweils das Anpassungsfähigste durchsetzt und nicht das Stärkste, Klügste, Fleißigste oder Schönste. Z.B. sind Schnupfenviren weder stark noch intelligent, trotzdem haben wir (noch) keine Chance gegen sie.

Die Funktion des Rassismus: Zur Aufwertung der eigenen Person ist er ein sehr geeignetes Instrument. Selbst einer "besseren" Rasse, Klasse, Schicht oder Gemeinschaft anzugehören, ist ein Verdienst, das nicht eigens erworben werden muss und doch augenscheinlich ist. Wenn man schon sonst nichts erreicht hat, so bleibt man immerhin noch ein "Deutscher" oder ein "Arier" oder einer von "hoher Geburt" oder wenigstens ein "St.Pöltner". Dabei ist es unverzichtbar, auf entsprechend "minderwertiges Menschenmaterial" hinunterblicken zu können, das charakterlich, kulturell und sittlich soweit unten zu stehen scheint, dass man selbst bereits in himmlische Bereiche davonschwebt.

Gerade im deutschen Sprachbereich entfaltete sich im vorigen Jahrhundert diese Vorstellung auf besonders üble Weise. Man war durch die verspätete Bildung eines eigenen Staatengebildes in der imperialen Weltaufteilung zu kurz gekommen und bedurfte innerhalb der herrschenden Kreise besonders dieser nationalen Selbstaufwertung. Das Wort "deutsch" bekam einen religiösen Beigeschmack, wurde zu einem heiligen Begriff. In der Arbeiterschaft hielt sich die nationale Euphorie in Grenzen, man war sich zu sehr seiner unterdrückten Position bewusst, als dass man sich damals von dem Getöne der Herrschenden betören hätte lassen.

Die Arbeiterbewegung war eher international gesinnt, ihr Gemeinschaftsgefühl sollte von der Solidarität untereinander bestimmt werden.

Als man im ersten Weltkrieg mit dem Bemühen scheiterte, eine Umverteilung der Macht in der Welt zu Gunsten von Deutschland und Österreich zu bewirken, brachte dies rassistische und nationalistische Strömungen erst recht zum Erstarken.


Hitler als "Mensch wie Du und ich" ?

Adolf Hitler hat nicht den Nationalsozialismus durch seine Führerpersönlichkeit, durch sein Dämonentum über Deutschland gebracht, sondern die bestehenden Verhältnisse ermöglichten die Ausbreitung dieser Ideenwelt. Hitlers Machtantritt war keine zwingende Folge der NS-Ideen, sondern eine Variante bürgerlicher Herrschaft. Aber trotzdem ist die Person Hitlers als eine Inkarnation allen Übels rassistischer und nationalistischer Ideologie auf der einen und eines extremen Minderwertigkeitskomplexes auf der anderen Seite besonders interessant.

Außer eines großen Rednertalentes besaß der "Führer" keine überragenden Fähigkeiten, er war ein drittklassiger Postkartenmaler, der es scheute, einer geregelten Arbeit nachzugehen. Aber es sind im Fall Hitler auch nicht die Gene gewesen, die ihn in diese Lage gebracht haben. Zwar hat jeder Mensch irgendwelche angeborene Dispositionen, die ihn von anderen Menschen unterscheiden. Abgesehen von äußerlichen Merkmalen mag er spezielle Gebiete besser nutzen zu können als ein anderer Mitmensch oder auch mehr gehandicapt sein. Der eine kann eben gut singen, der andere eher Fußball spielen oder Kopfrechnen. Aber niemand muss unbedingt eine besondere Fähigkeit haben oder wenn er sie hat, auch nützen.

Hitler wäre auch als Zeichner von Stadtansichten um einiges geschickter gewesen denn als Politiker. Da man ihn aber bei der Aufnahmeprüfung in die Kunstakademie zweimal durchsausen ließ, wurde er unglücklicherweise kein Maler. Er ging in die Politik. Eine mehr als unglückselige Familienkonstellation half an der Erschaffung des "Führers" entscheidend mit. Sein Vater Alois Hitler, offenbar ein strebsamer Despot, der es ohne Schulbildung zu einer relativ hohen Stellung als Zollbeamter gebracht hatte (damals bedeutete die Position eines Oberoffizials mehr als heute, sie wäre etwa mit einem Unteroffiziersrang zu vergleichen), war der eine Pol, seine Mutter, eine unterwürfige Frau, der andere. Alois Hitlers erste beiden Frauen starben, seine dritte Gattin, Hitlers spätere Mutter, war bereits das erstemal schwanger als die zweite Frau Hitlers noch lebte. Sie verlor aber ihre ersten drei Kinder jeweils kurz nach der Geburt und war dadurch zur Entwicklung jener Art der Mutterliebe prädestiniert, die in ungünstigen Konstellationen so viel Unheil heraufbeschwören kann.

Ihrem ersten Kind, das heranwuchs, gehörte ihre ganze Liebe: Der kleine Adolf wurde zum Auserwählten. Dieses Spannungsfeld zwischen väterliche Strenge und mütterlicher Verzärtelung ermöglichte es dem Kind nicht, eine klare Position im Leben zu finden. Die dominierende Beziehung zur Mutter verschaffte ihm den frühkindlichen Eindruck einer gottähnlichen Auserwähltheit. Der Vater seinerseits wollte in seinem Sohn die Ziele verwirklicht sehen, die ihm infolge seiner fehlenden Bildung verschlossen geblieben waren. Der Besuch einer höheren Schule war dafür die Voraussetzung. Hier erlebte der kleine Adolf aber dann seine erste ernsthafte Konfrontation mit dem wirklichen Leben, außerhalb der irrealen mütterlichen Welt. Aus dem kindlichen Über-Adolf wurde ein sehr gewöhnlicher Adolf, der den schulischen Anforderungen nicht zu folgen vermochte und dessen bisheriges Weltbild abrupt zerstört wurde.

Er war nichts besonderes mehr, verlor die Position der Auserwähltheit, wurde nicht mehr bloß mit der Mutterliebe gemessen.

Man kann sich wahrscheinlich nicht unschwer in die Position des pubertären Jugendlichen hineinversetzen. Vormals das Ein und Alles seiner Mutter erlebte er die Relativierung seiner Person und wollte sie nicht wahrhaben, wollte zurück in die angenehme Geborgenheit seines bisherigen Lebens, wo ihm weit gehend Erschwernisse und Mühsale des Alltags ferngehalten worden waren, wo er seine Leistungsfähigkeit mit keiner Konkurrenz und an keinem Maßstab messen musste. Außerhalb dieses verzärtelnden Umfeldes sah er sich plötzlich massiver Abwertungstendenzen ausgesetzt.


wenn Hitler die Kunstakademie absolvieren hätte können,
wäre er wahrscheinlich kein KZ-Baumeister geworden ...

Seine Darstellung, er wäre aus Opposition gegen den Plan seines Vaters, ihn einen Beamten werden zu lassen, ein schlechter Schüler geworden, ist eine mehr als durchsichtige Schutzbehauptung. Um als Erwachsener nicht Beamter werden zu müssen, gäbe es sicherlich eine Reihe anderer Auswege als das Sitzenbleiben in der Mittelschulunterstufe. Hitlers Lebensplan war so geartet, dass er einfach ständig der Mittelpunkt des Geschehens zu sein hatte, sein Wille geschehen musste, es für ihn keine Verkürzungen und Niederlagen geben durfte. Als sich dies jenseits der behüteten Kindheit nicht als real herausstellt, entwickelt sich ein überwältigendes Minderwertigkeitsgefühl, das durch ein entsprechendes Gottähnlichkeitsstreben überwunden werden soll. Als Hitler schließlich in Wien auch als Künstler scheitert, nichts aus der ersehnten Malerlaufbahn wird, setzt er mit dem Beschluss "Politiker zu werden" ein neues Ziel. Leider kann er dieses Ziel erreichen.

Die nationale Neurose in Deutschland, Kriegsniederlage, Wirtschaftskrise machen breite Schichten der Bevölkerung anfällig. Besonders die kleinbürgerlichen Mittelschichten befinden sich in einer Zwickmühle. Einerseits wird das "Streben nach oben" immer schwieriger, andererseits droht ständig ein Rutschen "nach unten". Das Selbstwertgefühl dieser Leute bedarf einer besonderen Aufwertung, sie klammern ihren ersehnten Aufstieg an einen Aufstieg ihrer nationalen Gemeinschaft, an einen Aufstieg Deutschlands und sind dadurch anfällig für Parolen, die ihnen diesen Aufstieg versprechen.

Mit Hitler kommt einer, "der sagt, was alle denken", einer der seine eigene Minderwertigkeit durch den Aufstieg nach ganz oben bewältigen will und allen Mitstreitern Plätze an der Sonne verspricht. In Hitler drücken sich nicht nur Vorurteile und Rachegelüste, sondern auch Wünsche, Sehnsüchte und Hoffnungen aus. Hitler nimmt aber auch die Schuldgefühle von seinen Anhängern: Ihre Lage ist nicht durch eigene Schuld, eigenes Unvermögen, eigenes Versagen so beschissen, sondern durch das Übelwollen einer Gruppe von Feinden, der Juden. Die Juden sind schuld!, heißt der Schlachtruf der Nazis, die üblen Semiten wollen die edlen Arier beherrschen und unterdrücken, Juden wohin man sieht: Im Geldgeschäft, in der Arbeiterbewegung, in den Zeitungen, in Kunst und Literatur. Hinter den Siegermächten des Ersten Weltkrieges stehen natürlich auch die jüdischen Weltverschwörer.

"Die Juden" sind eine religiöse Gemeinschaft, die eine der frühesten Schriftkulturen entwickelte, seit der Zerstörung Jerusalems im ersten Jahrhundert über die ganze Welt zerstreut, aber als Gemeinschaft nicht in den Gastvölkern aufgegangen, wie das bei Völkerwanderungen meist relativ rasch geschieht. Durch den kulturellen Entwicklungsvorsprung lag wenig Veranlassung vor, sich zu assimilieren, weil dies gleichzeitig Degeneration bedeutet hätte, andererseits war es ein wesentlicher Bestandteil der jüdischen Glaubenslehre, sich als das "auserwählte Volk" zu betrachten; man fühlte sich also Gott um ein Stück näher als die anderen Menschen und hatte keinen Grund, auf diese Selbstaufwertung zu verzichten.

Für ihre jahrhundertlange Verweigerung der Assimilierung und die Beibehaltung ihrer nationalen Gewohnheiten, mussten die Juden als "Strafe" in Kauf nehmen, als Fremde behandelt und immer wieder als Sündenbock verwendet zu werden. Sie blieben in vielen Ländern auch von den meisten Berufen ausgeschlossen und lebte von Handels- und Geldgeschäften. Als im 19.Jht. die Beschränkungen fielen, standen plötzlich zahlreiche Juden, aus seit Jahrhunderten intellektuell weit überdurchschnittlich geschulten Kreisen stammend, den weniger geforderten Nichtjuden gegenüber, denen die neue Konkurrenz mehr als zu schaffen machte. Die Juden waren nicht mehr bloß Händler oder Geldverleiher, sie konnten Ärzte, Künstler, Schriftsteller, Journalisten und Politiker werden. Da die Juden vielfach auch wenig Beziehung zu den Traditionen der christlichen Gemeinschaft hatten und durch den Ausbruch aus den jüdischen Ghettos ihre eigene Säkularisierung erlebten, gab es (besonders im alten Österreich) sehr viele neue Ansichten und Strömungen, die mit dem Wirken von Juden in Zusammenhang standen. Hitler konnte daher den "jüdischen Einfluss" auf eine relativ leicht konsumierbare Weise ausgrenzen - der Jude Marx, der Jude Heine, der Jude Rothschild, der Jude Freud, der Jude Einstein usw. usw.

In "Mein Kampf" konstruierte Hitler den "Einfluss des Judentums" von den "Hofjuden" des Feudalismus über den "jüdischen Kapitalismus" bis zum "jüdischen Bolschewismus" als durchgehendes Feindbild und fand damit breite Zustimmung, weil somit die Juden bezüglich der Probleme des Feudalismus genauso als Verursacher hingestellt wurden wie als Verantwortliche für dessen Untergang; das Entstehen des Kapitalismus, der Arbeiterbewegung, alles ist eine von langer Hand geplante Verschwörung mit dem Ziel, die Welt zu beherrschen.

Die menschliche Gesellschaft ändert und entwickelt sich nach den Vorstellungen der Rassisten nicht auf Grund der Veränderung und Entwicklung der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse, sondern auf Grund einer gigantischen Verschwörung einer bösartigen fremden Rasse. Diese idealistische Vorstellung der gesellschaftlichen Entwicklung war anscheinend für eine Masse von Menschen verständlicher und überzeugender als die Erklärung aus den wirklichen, materiell bestimmten Ursachen.

Wenn wir wieder zur Bedeutung des subjektiven Empfindens zurückkehren, ist es auch verständlich: Wenn man etwa den Mittelschichten zu erklären versucht, dass sich ihre gesellschaftliche Situation deswegen verschlechtert, weil im kapitalistischen Wirtschaftsmechanismus bei sonstiger Strafe des Untergangs ständig rationalisiert werden muss, was gleichzeitig zur Konzentration von immer größeren Kapitalmengen in immer weniger Händen führt, so wird sich der betroffene, ruinierte Kleingewerbetreibende einem undurchschaubaren Vorgang ausgeliefert sehen, dem er hilflos gegenübersteht. Versichert man ihm jedoch, dies passiere nicht auf Grund wirtschaftlicher Gesetzmäßigkeiten, sondern durch die bösen Absichten der reichen Juden und ihrer Handlanger in der Arbeiterbewegung, dann vermeint der Betreffende wieder festen Boden unter seinen Anschauungen zu spüren.

Nicht die gesellschaftliche Situation objektiv aus ihren materiellen Ursachen zu erkennen und daraus die notwendigen Schlüsse zu ihrer Veränderung zu ziehen, sondern dem Übelwollen eines fremden Willens das eigene Wollen entgegenzusetzen, ist der gesellschaftspolitische Weg des Nationalsozialismus. Nicht umsonst heißt der berühmt-berüchtigte Film von Leni Riefenstahl über den NS-Parteitag von 1934 "Triumph des Willens" - Ausdruck der Gottähnlichkeitsvorstellungen Hitlers durch Willensanstrengung das Dasein verändern und bestimmen, die Situation der Minderwertigkeit und Unterlegenheit durch einen "fanatischen Glauben" zur Position der Überlegenheit, des Sieges, der Vollkommenheit verbessern zu können.

Nach der "Machtergreifung" scheint dies eine Reihe von Jahren Wirklichkeit zu sein. Die Nazis haben lange Zeit die Gunst der Stunde auf ihrer Seite. Bereits die beiden Regierungen vor Hitler hatten begonnen, mit der völlig falschen Sparpolitik Schluss zu machen und versucht, die Wirtschaftskrise durch antizyklisches "deficit spending" zu überwinden. Unter der Kanzlerschaft Hitlers wird diese Politik verstärkt fortgesetzt; auch international, vor allem durch den amerikanischen "New Deal", bessert sich die Situation, dazu wird in Deutschland ab 1934/35 massivst aufgerüstet: Die wirtschaftliche Nachfrage schnellt nach oben, es herrscht Hochkonjunktur. Zwar explodiert auch das Staatsdefizit und die Deckung der Währung gerät durch vermehrten Banknotenausstoß in Gefahr, aber dies soll durch den eingeplanten Eroberungskrieg, durch entsprechende Kriegsbeute abgesichert werden.

Für breite Schichten der Bevölkerung jedoch erscheint die Zeit von 1933 bis 1939 und dann auch noch der Kriegserfolg bis etwa 1942 als Verwirklichung des NS-Planes, Deutschland groß und mächtig zu machen. Mit dem kurzzeitigen Aufstieg durch eine voluntaristische Politik, basierend auf Unverschämtheit und Glück, ist Hitler für viele der Sendbote der "Vorsehung", der ein neues, tausendjähriges Reich errichtet und die Deutschen in ihrer Gesamtheit aufwertet, emporhebt ins Reich der gottähnlichen Übermenschen. Hitler glaubt selbst an seine Rolle, immer wieder äußert er, man müsse Schwierigkeiten nur überwinden wollen, dann gäbe es immer einen Weg.

Ostmark

In Österreich findet der Nationalsozialismus einen besonders fruchtbaren Boden vor. Der Untergang des Habsburger-Reiches 1918 war der Absturz von einer Großmacht zu einem Kleinstaat. All die "Patrioten", die sich innig mit ihrem Land verbunden fühlten, erlebten dabei einen schockierenden Niedergang ihres Selbstwertgefühls. Sie waren keine Bürger eines Großstaates mehr, sondern Einwohner eines kaum lebensfähigen Restgebildes. Das Verlangen, sich wieder als Teil einer größeren und mächtigeren Einheit betrachten zu können, spiegelte sich im weit verbreiteten Wunsch nach dem Anschluss an Deutschland. Dieser Wunsch wurde dem kleinen Österreich im Friedensvertrag nach dem 1. Weltkrieg untersagt, man musste Kleinstaat bleiben.

Als im Jahre 1934 durch den Klerikalfaschismus die Arbeiterbewegung ausgeschaltet wurde, machte man Österreich endgültig sturmreif für die Nazis. Die klerikalfaschistischen Diktatoren Dollfuß und Schuschnigg und ihr Klüngel errichteten eine derartig widerliche Form der Herrschaft, dass breite Schichten der Bevölkerung den Nazis geradezu mit Gewalt in die Arme getrieben wurden. Die wirtschaftliche Situation bot nur Not und Elend, die betroffene Bevölkerung wurde zusätzlich ständig gedemütigt, der politische Katholizismus nahm den Menschen ihre letzte Würde und Selbstachtung, man musste vor den Pfaffen und ihren Organisationen Unterwürfigkeit und Ergebenheit heucheln, um überleben zu können. Der Arbeiterbewegung so das Rückgrat gebrochen, den Menschen jedes Selbstwertgefühl genommen zu haben, rächte sich 1938 auf bitterste Weise. Ein sehr großer Teil der Bevölkerung ging mit fliegenden Fahnen in das Lager der Nazis über, alles andere schien besser zu sein als der status quo. Die nicht den Nazis zujubelten, waren in dieser Situation auch wie gelähmt, ein gemeinsamer Widerstand gegen den Untergang Österreichs war nicht mehr möglich.

Auf sehr geschickte Art nutzten die Nazis die Stimmung für sich.

Die klerikalfaschistischen Unterdrücker wurden entmachtet und breite Kreise der Bevölkerung erhielten ihre Selbstachtung zurück. Plötzlich war der arbeitende Mensch nicht mehr der lästige Bittsteller, der auf den Knien zum Pfarrer und zur Vaterländischen Front rutschen musste, um eine Arbeit oder wenigstens ein Almosen zu erbetteln, er wurde wieder gebraucht, wurde zu einem anerkannten, wichtigen Teil der Gemeinschaft. Der Klerikalfaschismus, die wirtschaftliche Not hatten Menschen ins Bodenlose gestürzt, ihr Streben nach einer angemessenen Selbstwertschätzung, nach einem Entkommen aus dem Gefühl der Minderwertigkeit unmöglich gemacht. Die Nazis gaben den Menschen wieder den Glauben an sich selber zurück, ermöglichten Streben nach Anerkennung und Bestätigung. Es gab Arbeit, Brot und Wertschätzung, man war Teil eines offensichtlich aufstrebenden Großreiches. Wie im "Altreich" wurde auch in der "Ostmark" die "Arbeit für die Volksgemeinschaft" als Lebenssinngebung in den Vordergrund gestellt. Die berühmt-berüchtigten "Anständigen und Fleißigen" leisteten etwas für die Gemeinschaft des auserwählten deutschen Herrenvolkes! Die Verbesserung der realen alltäglichen Lebensumstände und dieses Gefühl der Aufwertung konnte die Mehrheit der Österreicher zu einer positiven Haltung gegenüber dem Hitlerregime bringen. Man konnte von den Leuten, die die damalige Zeit erlebten, die Aussage hören: "Als der Hitler kam, wurde ich wieder zu einem Menschen".

Die Ernüchterung durch die nazistische Herrschaftsstruktur, das militaristische Befehlen, den verordneten Kadavergehorsam brachte erst in Verbindung mit den Ereignissen des Krieges ein allmähliches Umdenken in der Bevölkerung. Zu spät bemerkten viele, dass die Euphorie von 1938 ein subjektiver Irrtum gewesen war.

Aber nicht nur in der Realität gab es Gleichklänge

Der Zusammenhang zwischen Trivialkunst und Nationalsozialismus ist nicht nur in der besonderen Förderung der ersteren durch den letzteren zu sehen ( die "Kunst" im "Dritten Reich" war vor allem eine Orgie des Kitsches und des schlechten Geschmackes), sondern durch die Übereinstimmung im Gefühlsleben (also in den Lebensplänen). So wird z.B. Karl May manchmal vorgeworfen, ein geistiger Vorläufer des Nationalsozialismus gewesen zu sein, er wurde schließlich sogar in der Wochenzeitung der SS 1937 anlässlich seines 25. Todestages als "bester deutscher Volksschriftsteller" gewürdigt. Was ein eher unverdientes "Lob" war. May hat zwar in seinen Büchern oft brecherregend gedeutschtümelt, doch hängt dies mit der Situation nach dem Sieg über Frankreich von 1870/71, der Reichsgründung und der nationalen Euphorie in seinem Zielpublikum weit mehr zusammen als mit dem späteren NS-Gedankengut. May war ein Opportunist, der dasselbe zu lieben schien, wie sein Publikum, schließlich hat er als Evangelischer auch unerträglich salbungsvolle Geschichten für katholische Marien-Kalender geschrieben. Der Hinweis, Hitler sei ein fanatischer May-Leser gewesen, beweist keineswegs, dass Hitler seinen Deutschnationalismus aus den Taten deutscher Recken wie Shatterhand und Kara Ben Nemsi (= Karl, Sohn der Deutschen) gewonnen hat. Vielmehr ist der Gleichklang, die Identität zwischen May und Hitler in den jeweiligen Lebensplänen, im grenzenlosen Minderwertigkeitsgefühl und im grenzenlosen Verlangen nach Überlegenheit zu suchen. Auch Karl May war im Leben vorerst gescheitert, als mehrfach vorbestrafter Kleinkrimineller träumte er sich zum Kara Ben Nemsi und Old Shatterhand, Adolf Hitler träumte sich vom Obdachlosenheimbewohner und Ansichtenmaler zum Städtebauer, Reichsgründer, Feldherrn und neuen Gott der Deutschen - May kam nicht in die Verlegenheit, tatsächlich auf den Kriegspfad gehen und seine Schmetterhand gebrauchen zu müssen, Hitler hingegen machte aus Träumen Wirklichkeit, büßen musste dies die Wirklichkeit, weil sie von den Träumen abwich ...


Kara Ben Nemsi bei der Heldenarbeit

Hermann Rauschning schreibt: "(..) er (Hitler) gehört zu den Hungerleidern nach dem Unerreichlichen. Jeder Deutsche steht mit einem Fuß in jenem Lande Atlantis, in dem er mindestens einen recht stattlichen Erbhof sein eigen nennt. Diese deutsche Eigenschaft der Duplizität der Naturen, die Fähigkeit, in doppelten Welten zu leben, eine imaginäre immer wieder in die reale hineinzuprojizieren, - alles dies trifft auf eine besondere Weise auf Hitler und seinen magischen Sozialismus zu. All diese kleinen, verwachsenen Sehnsüchtigen, die keine rechte Erfüllung finden: Nacktkulturisten, Vegetarier, Edengärtner, Impfgegner, Gottlose, Biosophen, Lebensreformer, die ihre Einfälle verabsolutieren und eine Religion aus ihrer Marotte zu machen suchten, lassen heute ihre geheimen Wünsche in die vielen Gaszellen des Riesenluftballons der Partei einströmen, um mit diesem großen Schiff..... einen noch höheren Flug zu wagen, als sie es bisher in ihren Konventikeln (= Zusammenkünfte im engen Kreis) taten. Diese verkümmerte und verwachsene Romantik engbrüstiger Geister, dieser vor Gehässigkeit und Rechthaberei atemlose Fanatismus kleiner Sektierer treibt den großen Fanatismus der Partei und hält ihn lebendig als eine gemeinsame Traumbestätigung. Für alle Zukurzgekommenen ist der Nationalsozialismus der "Traum von der großen Magie". Und Hitler selbst ist der erste unter den Zukurzgekommenen. So wird er selbst zum Meister der großen Magie und zum Priester der "verkappten Religionen". Von seinen eigenen Leuten wird Hitler immer mehr zu dem großen Magier gesteigert, dessen Bedeutung weit die eines großen Staatsmannes übersteigt." (Rauschning, Gespräche mit Hitler, Europa-Vlg. Seite 208f)

Nimmt man die Beschreibung Rauschnings in Beziehung zur Individualpsychologie, dann sehen wir wieder deutlich die Bestätigung: Die Lebenspläne bedeutender Schichten der Bevölkerung lagen auf einer ähnlichen Ebene wie die Hitlers. Sich selbst als verkürzt und minderwertig empfindend, brauchten sie eine Krücke, an der sie sich emporziehen konnten, die ihnen Schritte zur Selbstaufwertung ermöglichte.
Der Nationalsozialismus war eine Möglichkeit, diesem Streben auf breiter Basis nachzukommen, er war ein Mythos, eine Religion der zu kurz Gekommenen, er war der Traum von Macht und Herrlichkeit und Gottähnlichkeit. Nochmals muss allerdings betont werden, dass dies nicht die Ursache der Machtergreifung der Nazis war, sie war die Ursache der relativen Stärke der NSDAP in der Wirtschaftskrise und die Ursache für die Gewinnung eines großen Teiles der Bevölkerung nach der "Machtergreifung". - Diese selbst aber war der Versuch der herrschenden Kreise der kapitalistischen Wirtschaft, sich innenpolitisch der Arbeiterbewegung zu entledigen und außenpolitisch zu expandieren. Dass die NS-Herrschaft in ihrem Verlauf der Kontrolle dieser Kreise dann teilweise entglitt, bedeutet keinen Widerspruch: Niemals zuvor hatte in so kurzer Zeit widerstandslos eine so gigantische Umverteilung des Volksvermögens zum Betriebskapital stattfinden können.

Der Nationalsozialismus war ein Versuch den Traum von der Gottähnlichkeit in die Praxis umzusetzen. Unter Missbrauch des menschlichen Gemeinschaftsgefühls und der Sehnsucht nach Vollkommenheit wurde versucht, die Kitschgefühle der Kolportage, die magische Weltsicht der kindlichen Lebenspläne aus den Köpfen der Menschen in die Wirklichkeit zu versetzen. Hitler und der Nationalsozialismus waren Realität gewordener Schundroman, die Materialisation abtrusesten Kitsches, die Manifestation schlechter Phantasie: Und nicht trotzdem, sondern gerade deswegen so erfolgreich! Subjektive Vorstellungen verschleierten die objektiven ökonomischen Interessen, die diesem Geschehen freie Bahn gaben.

Rechtsextremismus ist politische Folklore

Nach 1945 erfolgte das bittere Erwachen keineswegs für alle. Der Nationalsozialismus ist scheinbar nicht an seinen inneren Widersprüchen, sondern an seiner militärischen Niederlage gescheitert. Die Fiktion, alles hätte "gut ausgehen" können, wenn Hitler nicht Krieg geführt hätte, geistert auch heute noch durch die Köpfe. Nur die Übermacht der Feinde scheint das Scheitern verursacht zu haben, nicht die Unmöglichkeit, einen Staat auf Dauer durch einen "Triumph des Willens" leiten zu können. Hitler hat den 2. Weltkrieg am Höhepunkt des Strohfeuers seiner innenpolitischen Erfolge vom Zaun gebrochen. Damit gab es nur noch zwei Möglichkeiten: Den Krieg zu gewinnen und die Macht und Herrlichkeit Großdeutschlands durch die Ausbeutung fremder Länder aufrecht zu erhalten oder den Krieg zu verlieren und den eigenen Untergang als Folge fremder Übermacht zu interpretieren. Den vom "Geist" des Nationalsozialismus Besessenen konnte die Einsicht versperrt bleiben, dass der Weg des NS-Regimes von Anfang an ein Weg in den Untergang gewesen ist. Das menschliche Streben nach Gottähnlichkeit, die Vorstellung unserer Kindheit, wir könnten durch magische Wünsche das Geschehen beeinflussen, der Glaube könne wirklich Berge versetzen, war die Haupttriebkraft Hitlers und des Nationalsozialismus, die untrennbare Ursache für seinen Aufstieg und seinen unabwendbaren Niedergang.

Mit dem Untergang des Nationalsozialismus ist der Rechtsextremismus nicht aus der Welt verschwunden. Schwer belastet durch die Verbrechen der Nazis, sieht er sich gezwungen, neue Formen anzunehmen. Das Grundkonzept bleibt dabei der Anspruch, dass seine Anhänger seine "höhere" Kategorie von Menschen repräsentieren. Ausgangspunkt ist die Theorie von der "Ungleichheit der Menschen", was nicht bedeutet, dass die Menschen ungleich an Eigenschaften sind, ungleich an Lebensbedingungen, ungleich durch die gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern ungleich an und für sich. Es gibt also wertvolle, weniger wertvolle und wertlose Menschen. Selbstverständlich gelten die Angehörigen der jeweiligen Gruppe von Rechtsextremisten als den ersteren zuzurechnen, selbstverständlich hat eine Minderheit in ihrer Umgebung die Funktion der letzteren, selbstverständlich hat die "Natur" diese Rangordnung in ihrer Weisheit so festgelegt.

Der Rechtsextremismus ist die Tradierung des erwähnten Ethnozentrismus aus der Frühgeschichte: Bei sehr vielen Völkerschaften auf einfachen Entwicklungsstufen der Kultur bedeutet z.B. der jeweilige Name des eigenen Stammes oder Volkes soviel wie "Menschen", während diese Bezeichnung benachbarten Völkerschaften nicht zugestanden wird, diese also nicht als menschliche Wesen zu gelten scheinen. Man sollte eigentlich annehmen, dass eine jahrtausendlange kulturelle Weiterentwicklung auch solch einfältige Vorstellungen überwinden würde, anscheinend ist es aber ein tiefsitzender Bestandteil der Vorstellungen von Menschen über sich selbst, dass sie die Überbewertung der eigenen Person mit einer Überbewertung der eigenen Gruppe verbinden. Nicht die Gleichheit an Rechten, Pflichten und Möglichkeiten für alle erscheint als erstrebenswert, sondern das Erreichen einer mythischen höheren Bestimmung. Der Glaube an die Auserwähltheit der eigenen Person und der eigenen Gruppe wird so zur Forderung nach einem Recht auf Herrschaft.

Da wiederum praktisch alle Menschen zumindest zum Teil ähnliche Verhaltensweisen in ihrer Psyche pflegen und benützen, ist der Zugang dazu weit leichter und auch von größerer Dauerwirkung als irgendwelche "sachlichen" Argumente.

Wir finden ja auch im Österreich der Gegenwart wieder eine ähnliche politische Wirkungstendenz: Die Auswirkungen der Globalisierung steigern auch in Österreich in größeren Bevölkerungskreisen das Gefühl der Unsicherheit, das Gefühl einer schwärenden Bedrohung. Es spielt dabei keine entscheidende Rolle, ob diese "Bedrohung" echt oder eingebildet ist. Sie ist jedenfalls für die Betroffenen benennbar: Die Fremden, die Ausländer, die Minderheiten, die Außenseiter, die Linken usw. sind es, die die gewohnte Ordnung, die gewohnten Verhältnisse, Zu- und Umstände zu bedrohen scheinen.

Das Problem liegt heute wie damals zuerst einmal nicht in zeitgenössischen Führerfiguren, sondern in brachliegenden Bedürfnissen. Mit der Frage, dass die gegenwärtige Entwicklung des Kapitalismus, das immer mehr steigende ausschließliche Profitdenken, eine Bewusstseinskrise bewirkt, beschäftigt man sich so gut wie gar nicht. Der Aufbau des Selbstwertgefühls wird für immer mehr Menschen zu einem Problem. Hat nicht seinerzeit die Arbeiterbewegung ihren Gliedern immerhin verkündet, dass sie zum Bauvolk der kommenden Welt gehörten?
Und wohin gehören die arbeitenden Menschen derzeitig? Worauf soll der Werktätige sich heute was einbilden? Dass er einen Fernseher, einen Kühlschrank und ein Auto hat? Dass die Kinder aufs Gymnasium gehen? Dass er auf Rhodos Urlaub macht? Aber was ist daran schon besonderes? Womit soll man heutzutage wirklich renommieren? Wer verkauft dem Durchschnittsmenschen den lebensnotwendigen Glauben an sich selber? Die Herren Spin-Doctors mit Drei-Tage-Bart und Yuppie-Grinsen? Offenbar nicht! Ist das daher nicht einfach der natürliche Markt für den Populismus? Und vor allem: Was und wer hilft, wenn das neoliberale Profitdiktat zum alles Bestimmenden wird?

Warum haben die Menschen schließlich Religionen und Götter entwickelt? Sicher nicht, weil sie sich so selbständig, emanzipiert und eigenverantwortlich gefühlt haben. Jeder Gott ist ein Hilferuf nach einer Autorität, nach einem Helfer und Vormund. Die persönliche Situation wird als minderwertig, zweitklassig, unbefriedigend empfunden. Sie zu verändern, scheint die eigenen Kräfte, Fähigkeiten und Möglichkeiten zu übersteigen. Die Hinwendung an eine Kraft, die sich nicht als minderwertig gibt, an ein Idol, das das eigene Defizit zur ersehnten Vollkommenheit zu ergänzen scheint, schafft den entsprechenden Ausgleich. In der Zeit des Säkularismus ist Gott nimmer im Himmel, sondern im Fernsehen oder im Bierzelt. Darum kann auch heute ein geschickter Demagoge, der gesellschaftliche Lösungen aus dem Schundroman anpreist, auf Sympathie und Zustimmung stoßen, weil er Hoffnung gibt, weil er Erfüllung erwarten lässt. Der allgemein-menschliche Minderwertigkeitskomplex ist nicht nur durch wirkliches Streben nach Überlegenheit und Vollkommenheit behebbar, er lässt sich heute wie vor sechzig Jahren via kitsch-trivialer Mythologisierungen einer scheinbaren Heilung zuführen. Ein erfolgreiches Reklamerezept hatte seinerzeit die Milchwirtschaft: Erfolgsgeneration, Milch trinken, dazugehören. Komplizierter ist das Werbekonzept des rechten Populismus auch nicht. Auch die Haider-Anhänger gehörten dazu: Zu den Rebellen, zu den Kritischen, zu denen, die sich von den Herrschenden und den Altparteien nichts gefallen lassen. Und die die eigentlichen Erfolgreichen sind. Weil sie was leisten, sich ihr Geld verdienen, ihre Stellung in der Gesellschaft eigentlich höher und bedeutender sein müsste. Sie sind keine Schmarotzer, Tachinierer und Faulenzer. Dass auch ein Heil versprechender rechter Populist an seiner eigenen Politik scheitern kann, ist klar: Jörg Haider hat den Fehler gemacht, zu glauben, er könne sich mittels einer Kleinen Koalition zur Macht taktieren. Er gab sich damit zufrieden, dass die FPÖ als stärkere Partei hinter der ÖVP die zweite Geige spielte, gab sogar den Vorsitz ab und war nicht mehr der charismatische Führer der Partei. Der Anspruch, alles für alle besser machen zu wollen und besser machen zu können, ging zwangsläufig damit verloren. Besonders dadurch, dass von der neuen Regierung von 2000 kaum was besser aber vieles schlechter gemacht wurde als vorher während der Zeit der Großen Koalition. Wäre Haider 1999/2000 in Opposition geblieben, hätte er für 2003 ein weitaus günstigeres Szenario gehabt. Rot-Schwarz hätte EU-bedingt ebenfalls einschneidende Sparmaßnahmen gesetzt - Haider hätte dann alle echten und/oder populistisch nutzbaren Themen (hohe Abgabenquote, Sanierung des Pensions- und Gesundheitswesens, Abfangjäger, Asylantenfragen, EU-Osterweiterung, Temelin, Benes-Dekrete, etc.) unbelastet gegen die Regierungsparteien populistisch einsetzen können. Dass die FPÖ dann stärkste Partei geworden wäre, ist ziemlich wahrscheinlich. Jörg Haider wäre vor der Türe zur Kanzlerschaft gestanden.

In Österreich war der Rechtsextremismus immer weitaus stärker als der Linksradikalismus. Nur ein Beispiel: Die NSDAP hatte 1945 (laut Erfassung bei den Entnazifizierungsmaßnahmen) in Österreich rund 596.000 Mitglieder, die KPÖ 1953 mit rund 228.000 Stimmen ihr bestes Wahlresultat, auf eine (anonyme) kommunistische Wählerstimme kamen also rund zweieinhalb deklarierte Nazis. Auch heute gibt es in Österreich relativ wenige manifeste Linke, aber relativ viele diffus nach rechts tendierende Menschen. Wenn die Linken in der Hauptsache ihre eigene Auserwähltheit in den Vordergrund stellen (was sind wir doch für gute Menschen, höflich, hilfsbereit, spendenfreudig, bei Bedarf ganz betroffen und alleweil tolerant bis zur völligen Unverbindlichkeit!), wird sie sich weiterhin selber ausgrenzen. Ohne Zugang von links zu den Gefühls- und Traumwelten - und derer materiellen Ursachen - breiter Bevölkerungsgruppen, wird dieses Feld auch künftig leichter von rechts bearbeitet werden können. Wenn auch die Beteiligung an der Regierung dem Rechtspopulismus großen Schaden zufügt hat, eine Entwicklung nach links wurde davon nicht eingeleitet. Aber wohl auch, weil das Wüten des Neoliberalismus auch von links oft als unvermeidliches gesellschaftspolitisches Geschehen betrachtet wird.

Das Ausweichen in Nebensächlichkeiten und Äußerlichkeiten wird verstärkt, weil über die gesellschaftlichen und ökonomischen Zusammenhänge in der Öffentlichkeit so gut wie überhaupt nicht debattiert wird. Zum Beispiel erregte 2006 der - vorerst gescheiterte - Versuch der endgültigen Privatisierung des österreichischen Stromnetzes weitaus weniger öffentliches Echo als die Erschießung eines streunenden Bären in Bayern.


Als Einfügung das offene Wort eines Apologeten der bestehenden Verhältnisse:

Über den Kapitalismus von heute (aus dem STANDARD vom 28.1.2000)

Unternehmen, nicht Regierungen beherrschen die Welt. Sie schaffen Arbeitsplätze, wo die Löhne niedrig sind. Der Druck auf Europa wächst. Zum Auftakt in Davos sprachen Victor Breu und Roland Schlumpf mit dem amerikanischen Ökonomen Lester C. Thurow in Boston.

Nächste Woche wird die amerikanische Wirtschaft die längste Aufschwungsphase ihrer Geschichte erreichen - acht Jahre und elf Monate. Welches Wirtschaftswachstum halten Sie für langfristig haltbar?
Die US-Wirtschaft wächst seit fünf Jahren schneller als vorausgesagt. Ein Grund ist die technische Revolution, der "Wechsel zu einer wissensbasierten Gesellschaft". Zudem hat Amerika Millionen von Leuten aus der Arbeitslosigkeit quasi in eine Halbarbeitslosigkeit gehoben, mit Billiglohnjobs im Dienstleistungsbereich. Diese Leute arbeiten Vollzeit, verdienen aber nur einen Teilzeitlohn. Sie würden jetzt gerne in die Industrie wechseln, weil dort mehr bezahlt wird. Die Leute aus dem Servicesektor stehen aber Schlange, und das verhindert Lohnerhöhungen, und so wird die Wachstumsphase scheinbar unerklärlich verlängert.
Die 1980er waren das Jahrzehnt Japans, die 90er jenes der USA. Die nächsten zehn Jahre werden die Dekade Europas sein, das zum führenden Machtzentrum aufsteigt - Was sagen Sie?
Die Frage ist, wie lange die technische Revolution anhält und wer sie auszunützen versteht. Wenn vorhandene Technologien nur perfektioniert werden müssen, dann gewinnt Japan. Wenn es jedoch darum geht, alte Industrien aufzugeben und neue zu lancieren, dann schlägt die Amerikaner niemand. Nirgends ist es so einfach, die Belegschaft zu feuern. Wenn neue Technologien Einzug halten, dann müssen Firmen flexibel reagieren und zuerst einmal Leute entlassen. Zudem herrscht in den USA Toleranz für unternehmerisches Scheitern. Bei neuen Technologien weiß niemand, wohin die Reise geht. Von den heute 25 größten Firmen der USA existierten 1960 acht noch gar nicht. In Europa gibt es kein einziges Beispiel von Start-Ups, die es zu globaler Bedeutung gebracht hätten. Also noch kein Jahrzehnt Europas? Die Europäer sind an der Spitze besser ausgebildet als die Japaner und auf der Ebene der Arbeiterschaft viel besser als die Amerikaner. Doch die europäischen Politiker versuchen, die Arbeitslosigkeit wegzubringen, ohne die Löhne zu senken. Stellen Sie sich vor, der angelernte deutsche Arbeiter würde nur noch fünf Dollar die Stunde verdienen, brutto. Da wäre die Arbeitslosigkeit über Nacht weg, weil die Unternehmer Stellen nur so, aus dem Boden stampfen würden. Warum soll Mercedes in Deutschland Autos montieren, wenn dies in Alabama weit billiger möglich ist?
In einer wirklich globalen Wirtschaft wird allein die Fähigkeit bezahlt: Ein Softwareingenieur in Indien verdient gleich viel wie sein Kollege in der Schweiz, aber ein unqualifizierter Schweizer Arbeiter verdient dann auch nur so wenig wie sein indisches Pendant. Europa hat sich dieser Realität noch nicht anpassen wollen und muss mit den Löhnen runter. Es müssen ja nicht 30 Prozent sein wie in den USA, das war zu viel, aber etwas müsst ihr schon runter.
Hat der Freihandel, die vorherrschende Wirtschaftsdoktrin der letzten 50 Jahre, nur die Reichen reicher und die Ärmeren ärmer gemacht?
Der Freihandel war gut für die Weltwirtschaft und auch für die Armen. In den letzten 50 Jahren haben mehr arme Leute materielle Fortschritte gemacht als in der ganzen Menschheitsgeschichte zuvor.
Die Weltbank aber sagt, es seien nie so viele Menschen arm gewesen wie heute. Zwei von sechs Milliarden Menschen müssen mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen.
In absoluten Zahlen stimmt der Befund, nicht aber anteilsmäßig. Die ganze Welt außer Afrika hat heute ein höheres Pro-Kopf-Einkommen als 1965. In Asien, wo die meisten Menschen leben, gibt es nicht ein einziges Land, das ärmer geworden ist in den vergangenen 35 Jahren. Dass Afrika südlich der Sahara ärmer geworden ist, hat nicht mit dem Freihandel, sondern mit lokaler Desorganisation zu tun. Tatsache bleibt: Der Graben zwischen den reichen und armen Ländern ist breiter geworden. Der Grund? Die technische Revolution. Den armen Ländern fehlt es an ausgebildeten Menschen. Solange die Produktion der zentrale Faktor war, holten sie auf. Eine Trendwende ist nötig, aber aus moralischen, nicht ökonomischen Gründen. Leider sehe ich keine Macht, die dies bewerkstelligen könnte.
Ich glaube nicht an soziale Revolutionen. Als ich Anfang der Sechzigerjahre Student in Oxford war, betrug die Arbeitslosenrate in den USA 4,5 Prozent, in Europa 1,5 Prozent. "Wenn wir so viele Arbeitslose wie in Amerika hätten, gäbe das eine Revolution", hieß es da bei der Linken. Jetzt habt ihr Europäer 12 Prozent - ohne politischen Umsturz. Es gibt auch keine Revolution in den USA, wo die Einkommen von zwei Dritteln der Bevölkerung in den letzten 30 Jahren um 25 bis 30 Prozent gesunken sind. Ich frage mich: Warum gibt es in Europa keine Steuerrevolte? Ein Arbeitsloser in Frankreich erhält mehr ausbezahlt als ein vollzeitlich arbeitender Amerikaner im Dienstleistungssektor. Unsere Steuerzahler würden streiken.
Man streikt nicht, weil jene, die wenig haben, vielleicht etwas zu viel bekommen, sondern weil jene, die viel haben, noch mehr kriegen.
Vorsicht: In den USA wächst nicht die Kluft zwischen den Ärmsten und den Reichsten, sondern zwischen dem Durchschnitt und den Reichsten. Mehr als die Hälfte der Amerikaner hat in den letzten zehn Jahren Lohneinbußen erlitten - trotz boomender Konjunktur. Diese 50 Prozent der Bevölkerung könnten jede Regierung wegfegen, aber sie gehen nicht wählen. Es wählen die älteren Leute, denn das Pensionsalter ist wie Ferien am Ende des Berufslebens. Da keine politische Macht fähig ist, die Menschheit ideologisch zu führen, regieren künftig globale Konzerne und ungezügelter technologischer Fortschritt die Welt, Heute erteilen Firmen den Ländern Befehle. Der Elektronikkonzern Intel zum Beispiel baute eine Fabrik in Israel, die Regierung des Landes musste 600 Millionen Dollar zahlen, damit Intel nicht Ägypten den Vorzug gab. Das heißt: Diese Firmen entrichten nicht Steuern an Staaten, sondern die Einwohner dieser Staaten zahlen Steuern an die Unternehmen. Die mächtigen Konzerne sind zu Steuerkollektoren geworden.
Wenn man eine globale Wirtschaft ohne eine globale Regierung hat, erhöht sich die Verhandlungsmacht der Unternehmen. Firmen sind mobil, Länder nicht. Der politische Prozess - bis hin zur Gesetzgebung - wird heute von Firmen beherrscht.
Könnten multilaterale Organisationen wie die UNO zu Gegenkräften werden?
Nein, denn die Abgabe von Macht an übernationale Stellen findet interessanterweise nur in Europa statt.
In den nächsten Jahrzehnten müssen die Staaten zu Plattformanbietern werden. Da sie die Wirtschaft nicht mehr kontrollieren können, gilt es, die Grundlagen zu erstellen, auf denen ihre Bürger erfolgreich in den Wettbewerb eingreifen können. Drei Dinge wird der erfolgreiche Staat sicherstellen: Ausbildung, Infrastruktur und Grundlagenforschung. Auf diesen drei Plattformen entscheidet sich, wer künftig an der Spitze dabei ist.

Der US-Wirtschaftswissenschafter Lester C. Thurow ist einer der Star-Ökonomen des Massachusetts Institute of Technology in Boston. In seinem Buch "Die Zukunft des Kapitalismus" (1996) zerstörte Thurow die Illusion vom Sozialstaat. © Tages-Anzeiger, Zürich.


Dieser Schilderung der Wirklichkeit braucht man nicht mehr viel hinzuzufügen. Die Globalisierung ist ohne demokratische Mitbestimmung, ohne jede demokratische Kontrolle, ja war lange selbst fast ohne organisierten Widerspruch. Die Menschen, die mit der Mühsal der alltäglichen Arbeit die Gesellschaft in Gang halten, bekommen dafür möglichst wenig Anteil am gesellschaftlichen Reichtum, keine Anerkennung und keine Wertschätzung, sie sind bloße Kostenfaktoren, die die Profite belasten. Die Interessen der Aktionäre der globalen Multis drängen immer mehr Menschen in Fremdbestimmung, in Abhängigkeiten, in die Lage,
EIN NICHTS ZU SEIN. Immer mehr Menschen TRAGEN ES NICHT LÄNGER - ALLES ZU WERDEN, STRÖMT ZUHAUF?

Die Menschen HÖREN SIGNALE - aber eher falsche, weil richtige Signale ertönen keine!

Da vielleicht heutzutage nicht mehr als allgemein bekannt vorausgesetzt werden kann, woher das obige Zitat "ein nichts zu sein, tragt es nicht länger..." stammt, hier die Quelle dazu:

Robert Menasse im FORMAT vom 31.1.2000: "Mein Urgroßvater ist Mitbegründer der SPÖ. Er ist seinerzeit zu Fuß, weil er kein Geld hatte für die Eisenbahn, von Amaliendorf im nördlichen Waldviertel nach Hainfeld zum Gründungsparteitag gegangen. Und über hundert Jahre später sehe ich einen sozialdemokratischen Kanzler, der nach seinem Rücktritt Mitglied im Aufsichtsrat eines Konzerns wird, der Betriebsräte verbietet; oder einen sozialdemokratischen Finanzminister, der mitten in Regierungsverhandlungen sagt, dass die Pensionen gekürzt und das Pensionsalter angehoben werden müssen, und der daraufhin selber mit zwei Pensionen in den Ruhestand geht, und so weiter. So gesehen hätte sich mein Urgroßvater den Weg sparen können."

Ohne dieses Versagen der Arbeiterbewegung, ohne das Versagen einer SPÖ, die unter Vranitzky und Klima als Globalisierungs-Managementbetrieb die Geschäfte der SHAREHOLDERs gegen ihr Stammklientel führte, hätte auch der Rechtspopulismus keinen solchen Zuspruch erreichen können. In der BRD zeigte die SPD-Regierung unter Schröder, dass es noch wesentlich schlimmer geht. In Deutschland fehlte allerdings der Rechtspopulismus, dort kam die konservative Opposition von CDU/CSU und FDP sogar in die Verlegenheit, ein politisches Programm erstellen zu müssen, dass erkennbar ärger ist, als das der rot-grünen Regierung. Die Wiederaktivierung oder Wiederkehr einer Massenbewegung von Art der Sozialdemokratie oder sonst einer anderen sozialistisch orientierten politischen Bewegung wurde dadurch zwangsläufig unausweichlich.

Auch die multinationalen Konzerne können nicht damit rechnen, dass ihre Opfer langfristig so untertänig bleiben werden, auch die leibeigenen Bauern in der Feudalzeit haben die damalige - als "gottgewollt" verschleierte - Ausbeuterordnung nicht auf Dauer ertragen.
Zwar wird heute ebenfalls alles getan, um die Interessen der herrschenden Klassen zu verschleiern, aber wie schon der amerikanische Präsident Lincoln sagte, könne man zwar einige Leute alle Zeit und alle Leute einige Zeit täuschen, aber nicht alle Leute alle Zeit. Die von Frankreich ausgehende Ablehnung der neoliberalen EU-Verfassung ist das Beispiel des Jahres 2005: das politische Handeln kann auf Dauer nicht nur gegen die Masse der Bevölkerung gerichtet sein!

Man wird jedoch weiter damit rechnen müssen, dass auch rechtskonservative, rechtspopulistische und rechtsextreme Gruppierungen von der "Globalisierung" genannten Diktatur der Börsenspekulanten und Konzernherrn politisch profitieren, aber notgedrungen wird die politische Fragestellung wieder grundsätzliche Fragen zur Herrschaft der Ökonomie über die Politik beinhalten müssen. Schließlich wird niemals die Situation eintreten, dass Milliardäre reich genug, Konzerne groß genug, Arbeits- und Sozialkosten niedrig genug sein werden.

Karl Marx hat schon 1844 (!!) quasi die Globalisierung vorausgesehen:
"Mit der Verwertung der Sachenwelt nimmt die Entwertung der Menschenwelt in direktem Verhältnis zu"

Man sollte daher unablässig zu allen politischen Ereignissen und Maßnahmen die Frage stellen:
"Wem nützt das?" Rasch wird jeder lernen, dass in den wichtigen Fragen die letzte Antwort ganz klar und einfach "den Profiten" lauten wird, wenn auch so gut wie immer versucht wird, diesen Umstand möglichst zu verschleiern!

*

"Der ideale Finanzmann gleicht dem idealen Kriminellen insofern, als beide in skrupelloser Weise Güter und Personen für ihre eigenen Zwecke ausbeuten, die Gefühle und Wünsche anderer rücksichtslos missachten und für die Folgen ihrer Taten unempfindlich sind"

Thorstein Veblen tat diese Äußerung nicht jetzt zur Globalisierung, sondern vor hundert Jahren zum damaligen Kapitalismus - was hat sich seither geändert?