Dr.
Joseph Goebbels
hat Tagebuch geführt, darin konnte er unzensiert seine tatsächlichen Ansichten,
Meinungen, Wünsche, Träume, Vorstellungen und Einbildungen eintragen. Im folgenden
sind solche Eintragungen im Zusammenhang mit den Ereignissen in Stalingrad zu
lesen. Einerseits die subjektiv ehrlichen Ansichten und Bekenntnisse eines Fanatikers,
andererseits die Darstellung eines egozentrischen, eitlen Machtmenschen - in
beiden Varianten spielte die Realität die Rolle der Kulisse, sie bot je nach
Bedarf: Schicksal, Dramatik, Heldentum, Apokalypse, Mythos und Mythen, immer
aber den Untergrund für die Entwürfe des genialen Werbefachmannes Joseph Goebbels.
10. August 1942: Der Tag ist durch drei außerordentlich erfreuliche Meldungen charakterisiert. [...] Unser Vorstoß nach dem Süden ist enorm, aber nun ist auch in der Tat Stalingrad unmittelbar bedroht. Das Vormarschtempo ist atemberaubend. Die Infanterie vollbringt hinter den schnellen Verbänden Marschleistungen, die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen. Außerordentliche Schwierigkeiten bereitet uns die enorme Hitze, es herrschen fast afrikanische Verhältnisse im Süden der Ostfront. Unsere Infanterie kämpft zum Teil in über 50 Grad Hitze, durch ewige Staubwolken hindurch, und unterliegt damit Strapazen, die kaum vorstellbar sind. Aber es wird geschafft. Jedermann scheint zu wissen, worum es in diesen Tagen und Wochen geht. [...]
23.
September 1942: Bezüglich Stalingrads ist entsprechend der gänzlich
ungeklärten dortigen Lage ein ewiges Hin und Her in der Nachrichtengebung weiterhin
festzustellen. Die Bolschewisten richten Aufrufe an die Verteidiger von Stalingrad,
weiter auszuhalten. Sie appellieren erneut an die nationale Widerstandskraft
und halten der Stadt die ungeheure Bedeutung vor, die sie heute zu vertreten
hat. Man vergleicht in London bereits unser Nichtvorankommen mit dem napoleonischen
Debakel an der Beresina. Aber dieser Vergleich ist uns ja im Vorjahr so oft
vor Augen gehalten worden, dass er heule kaum noch zieht. Auch sucht man unsere
Verluste wahnsinnig zu übertreiben und daraus den Schluss zu ziehen, dass wir
zu nennenswerten Erfolgen nicht mehr kommen könnten. Der »Daily Telegraph« erklärt
jetzt, dass Stalingrad überhaupt die entscheidende Schlacht des ganzen Krieges
sei. Um so mehr müssen wir uns anstrengen, sie zu gewinnen. Das ist tatsächlich
eine Frage auf Leben und Tod, und unser Prestige hängt gleichwie das der Sowjetunion
in stärkstem Maße von ihrem Ausgang ab. [...]
Im Laufe des Nachmittags hegt
man in London wieder größte Hoffnungen. Dagegen ermahnt man von Moskau aus die
angelsächsischen Bundesgenossen und stellt ihnen vor Augen, dass sie unter keinen
Umständen den Omnibus verpassen dürfen. Die Bolschewisten treiben augenblicklich
eine außerordentlich kluge Propaganda- und Nachrichtenpolitik. Sie drücken auf
die Engländer und Amerikaner, ohne dass wir nennenswerte Argumente aus ihren
Auslassungen schöpfen konnten. Überhaupt muss man dem Kreml nachsagen, dass er
eine sehr listige und zum Teil auch überzeugende Führung der politischen und
militärischen Geschäfte der Sowjetunion durchführt. [...]
14.
Dezember 1942: [...] Es kann keiner sagen, dass im Lande keine gute
Stimmung wäre. Vor allem die Partei hat sich trotz der Schläge der vergangenen
Wochen großartig herausgemacht und ist heute wiederum die Trägerin der gesamten
inneren Haltung des Volkes. Ich bin mit dem Geist, der in dieser Versammlung
herrscht, außerordentlich zufrieden. Es ist der alte Kampfgeist der nationalsozialistischen
Bewegung, zu vergleichen dem, der in der zweiten Hälfte des Jahres 1932 in unseren
Reihen herrschte. Man hat überhaupt den Eindruck, dass die Zeit von jetzt eine
überraschende Ähnlichkeit mit jenen sechs Monaten kurz vor der Machtübernahme
hat. [...]
Jüdische Rabbiner in London veranstalten eine große Protestversammlung
unter dem Thema: »England erwache!« Es ist zum Schreien komisch, dass die Juden
jetzt nach 15 Jahren gezwungen sind, uns unsere Parolen zu stehlen und mit derselben
Parole die philosemitische Welt zum Kampf gegen uns aufzurufen, mit der wir
einmal die antisemitische Welt zum Kampf gegen das Judentum aufgerufen haben.
Aber es nützt den Juden alles nichts. Die jüdische Rasse hat diesen Krieg vorbereitet,
sie ist der geistige Urheber des ganzen Unglücks, das über die Welt hereingebrochen
ist. Das Judentum muss für sein Verbrechen bezahlen, so wie der Führer es damals
in seiner Reichstagsrede (vom 30.1.1939) prophezeit hat: mit der Auslöschung
der jüdischen Rasse in Europa und vielleicht in der ganzen Welt. [...]
17. Dezember 1942: [...] Zum ersten Male melden sich jetzt deutsche Gefangene aus russischer Gefangenschaft. Es sind etwa vier- bis sechshundert Postkarten aus russischen Gefangenenlagern im Reich angekommen, die ohne jede Propaganda sind. Trotzdem verfolgen die Bolschewisten offenbar mit dieser Taktik einen Propagandazweck. Sie sind zwar nicht der Genfer Konvention angeschlossen, aber sie wollen sich wohl jetzt als gesittete und zivilisierte Nation aufspielen und haben sicherlich die Absicht, durch zunächst unverfängliche Karten eine Verbindung dieser Gefangenen mit der Heimat herzustellen und dann die offene Propaganda nachfolgen zu lassen. Wir behandeln diese Frage außerordentlich delikat. Die Karten sind zwar den Angehörigen ausgeliefert worden, aber diese bekommen dazu auch ein erklärendes Begleitschreiben. In Zukunft sollen zwar die in solchen Karten enthaltenen Wünsche der Gefangenen von Reichs wegen erfüllt werden, aber die Karten selbst sollen nicht mehr den Angehörigen ausgeliefert werden. Man muss hier sehr vorsichtig verfahren, weil man sonst ein Einfallstor für die bolschewistische Propaganda in Deutschland eröffnet.
18. Dezember 1942: [...] Die Ostlage zwingt den Führer, entgegen seinen ursprünglichen Absichten im Hauptquartier zu bleiben. Die Entwicklung um Stalingrad gibt doch zu einigen Besorgnissen Anlass: vor allem ist sie nicht als so sicher anzusehen, dass der Führer sich aus dem Hauptquartier entfernen könnte. [...]
20. Dezember 1942: Die Lage bei Stalingrad gibt zu einigen Besorgnissen Anlass. Der Lufttransport klappt wegen der üblen Wetterlage nicht so, wie das wünschenswert wäre. Unsere Truppen haben nicht mehr ausreichend zu essen.
3. Januar 1943: Exposé über die totale Kriegsführung ist mir von den dafür zuständigen Stellen des Ministeriums nach meinen Anweisungen ausgearbeitet worden. Dies Expose soll die Grundlage unserer Besprechung am Montag sein. Es wird darin vorgeschlagen: Einführung des Frauenarbeitsdienstes, absolute Einstellung der Luxuswaren- und zum großen Teil auch der Gebrauchswarenindustrie, Schließung der Warenhäuser, Abschaffung von wenigstens 60 bis 70 Prozent unseres beaufsichtigenden Verkehrspersonals, restlose Überführung der nicht für den unbedingt notwendigen zivilen Bedarf tätigen Industrie in die Kriegsindustrie und ähnliche einschneidende und scharfe Maßnahmen. Es wird damit zwar das zivile Leben eine starke Beschneidung erfahren, aber das ist ja auch der Sinn der ganzen Aktion. Ich bin mir klar darüber, dass ich dabei eine Reihe von gröbsten Schwierigkeiten zu überwinden habe, aber sie machen nicht mutlos. Es handelt sich jetzt um eine so wichtige Veränderung unserer ganzen Kriegsauffassung, dass es sich schon lohnt, alle Kräfte daranzusetzen, hier zum Ziele zukommen. Ich schreibe einen neuen Leitartikel unter dem Thema "Der totale Krieg" in diesem Artikel reite ich eine sehr scharfe Attacke gegen den kleinen Kreis von Parasiten und Faulenzern, der immer noch nicht einsehen will, dass dieser Krieg um unser Leben geht und dass man deshalb ihm gegenüber auch eine entsprechende Haltung einnehmen muss.
5.
Januar 1943: [...] Im Laufe des Nachmittags werden die Sowjets in
ihrer Nachrichtenführung wieder außerordentlich keß und naßforsch. In der Tat
ist bei Stalingrad die Lage etwas ernst geworden. Das Wetter ist nicht so, dass
wir einschränkungslos Lufttransporte durchführen können. Die riesigen Verbände
verschlingen natürlich viel an Munition und vor allem an Lebensmitteln. Das
alles auf dem Luftwege heranzutransportieren, ist außerordentlich schwierig.
Wir haben auch einige Verluste an Lufttransportmaschinen, und der ganze Transport
reißt natürlich gewaltig in unsere Benzinvorräte. Die ganze Ostlage ist augenblicklich
wieder ein riesiges Problem geworden. Zum Teil vertreten Fachleute sogar den
Standpunkt, dass die Schwierigkeiten größer seien als im vergangenen Winter,
was nach meinen sehr sachlichen Überprüfungen in keiner Weise der Fall ist.
Man überschätzt natürlich sehr leicht die Schwierigkeiten, mit denen man am
Tage selbst beschäftigt ist, während man die Schwierigkeiten der Vergangenheit
etwas auf die leichtere Schulter nimmt. Wenn ich mir vorstelle, von welchen
Sorgen wir im vergangenen Winter belastet waren und wieviel geringfügiger die
Sorgen dieses Winters doch demgegenüber sind, so kann ich hier schon von einer
grundlegenden Wandlung sprechen. [...]
Wir können ja auch den Krieg nicht
auf beliebige Dauer ausdehnen. Irgendwann muss er ja einmal zu einem entscheidenden
Erfolg führen, und ich bin heute fest davon überzeugt, dass, wenn wir alle uns
zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, wir die Sowjetunion im kommenden Sommer
niederschlagen können. Sind wir aber einmal im Osten zu einem entscheidenden
Erfolg gekommen, dann ist die weitere Fortsetzung des Krieges kein grundlegendes
Problem mehr.[...]
7.
Januar 1943: Das allgemeine Bild ist sehr trübselig, und wir müssen
uns darauf gefasst machen, dass wir noch einige Wochen vor uns haben, die im großen
und ganzen den Ereignissen des vergangenen Winters gleichkommen werden. Unsere
Verstärkungen sind zwar im Anrollen, aber es wird eine gewisse Zeit dauern,
bis sie wirklich im Osten zum Einsatz kommen können. Auf der anderen Seite entsteht
dadurch auch die Gefahr, dass wir den Westen entblößen, was zwar für den Augenblick
nicht beängstigend ist, aber, sobald der Frühling kommt, doch eine gewisse Sorge
bereiten muss. Es fehlt eben an Mannschaften hin und her. Man mag die Decke drehen
und wenden, sooft man will, einmal werden die Füße und einmal wird die Nase
kalt. (...)
Die Lage in Stalingrad wird geradezu katastrophal geschildert.
Allerdings muss man den Verfassern dieser Schilderungen zugutehalten, dass die
Dinge in Stalingrad tatsächlich alles andere als erfreulich sind. Denn schließlich
und endlich sind hier rund 240.000 Mann eingeschlossen, und es bereitet die
denkbar größten Schwierigkeiten, sie mit der notwendigsten Munition und den
notwendigsten Lebensmitteln zu versorgen. Die Rationen, auf die unsere Soldaten
dort gesetzt sind. sind außerordentlich klein. Sie sind zum Leben zuwenig und
zum Sterben zuviel. Man kann sich vorstellen, dass das auf die Dauer auch außerordentlich
drückend auf die Stimmung wirken wird. Gespanne gibt es kaum noch, weil die
Pferde geschlachtet und verzehrt worden sind. Zum Heizen hat man auch kein Material
mehr: die letzten Eisenbahnschwellen sind mittlerweile schon verfeuert worden.
Ersatz kann man nicht heranschaffen, weil die nächste deutsche Kampfgruppe etwa
120 bis 150 km von Stalingrad entfernt ist. Das drückt natürlich auf die allgemeine
Heeresführung sehr stark. Aber der Führer verfolgt hier eine Kriegführung, die
genau der im vergangenen Jahr entspricht, nämlich nichts aufzugeben, was nicht
unter dem Zwang der Waffen aufgegeben werden muss. Die Bolschewisten haben in
ähnlichen Situationen gleichfalls so gehandelt und damit ihre heutigen Erfolge
erzielt. [...]
Selbstverständlich haben wir auch ein Herz für unsere Soldaten
und Offiziere in Stalingrad. Niemand bedauert ihre Lage mehr als der Führer.
Aber andererseits müssen wir uns darüber klar sein, dass das Unglück, das über
die Nation hereinbrechen würde. wenn wir hier nachgäben, ungleich viel schwerer
sein würde als das Unglück, das unsere dort eingeschlossenen Truppen betrifft.
[...]
Wesentlich erscheint den Herren im OKH (Oberkommando des Heeres)
die Änderung der Politik im Osten. Der Führer hat sich dazu noch nicht herbeilassen
wollen. Man behauptet unter den OKH-Offizieren, dass man durch eine etwas mildere
Behandlung der Ostvölker diese zum Teil auf unsere Seite bringen würde. Ich
weiß nicht, ob das den Tatsachen entspricht; denn erfahrungsgemäß verlangen
Völker in besetzten Gebieten, wenn man ihnen den kleinen Finger reicht, die
ganze Hand und sind keineswegs mit dem kleinen Finger zufrieden. Das ist eine
politische Erfahrung, die man immer wieder gemacht hat und die sich auch bei
der Frankreichpolitik als richtig herausgestellt hat. Darauf antworten die Vertreter
einer gegenteiligen Politik, dass man Frankreich gegenüber nicht weit genug gegangen
sei. Ich bin im Gegenteil der Meinung, dass man zu weit gegangen ist. Ich halte
dafür, dass der Schlüssel zur Lösung der ganzen Lage nur die Einführung der totalen
Kriegführung ist. Es stehen uns genügend Mannschaften zur Verfügung, wenn wir
sie nur aus dem Volk in der Heimat ausschöpfen. Hier bleibt uns noch so viel
zu tun übrig, dass man gar nicht weiß, wo man überhaupt anfangen soll. Wir müssten
mit harten Strafen gegen die Saboteure einer totalen Kriegführung vorgehen und
uns nicht mehr auf Ermahnungen beschränken, sondern Gesetze und Verordnungen
herausgeben. [...]
Die totale Kriegführung hätte vor anderthalb Jahren
schon eingeführt werden müssen. Damals aber haben wir aus der furchtbaren Krise
des Winters leider nicht die nötigen harten Konsequenzen gezogen, und als zum
ersten Mal wieder die Sonne schien, erwachten wieder die Geister eines gefährlichen
Illusionismus und gaben sich Hoffnungen hin. die sich nach Lage der Dinge leider
nicht erfüllen konnten. [...]
9. Januar 1943: [...] (Goebbels bespricht seine Thesen zum "totalen Krieg".) Im großen und ganzen sind alle Herren mit meinen Vorschlägen einverstanden. Anwesend sind außer Keitel noch Lammers, Bormann, Funk, Sauckel und Speer. Vor allem Speer unterstützt mein Programm sehr stark und intensiv. Leider macht Sauckel aus reiner Ressorteitelkeit Schwierigkeiten, weil er glaubt, er würde mit seinen Vollmachten allein fertig. Er stellt die absurde Behauptung auf, dass Arbeitskräfte genügend zur Verfügung ständen, dass sie aber nicht angefordert würden. Ich kann ihm diese Behauptung mit Leichtigkeit widerlegen. Funk ist auch damit einverstanden, die zivile Wirtschaft radikal einzuschränken zugunsten der Front. Die Auseinandersetzungen bewegen sich lange Zeit nur um die Einsprüche, die Sauckel glaubt erheben zu müssen. Aber es gelingt uns mit vielem Hin und Her doch, auch ihn zu überzeugen, dass jetzt etwas Demonstratives getan werden muss und dass es nicht mehr mit halben Maßnahmen gelingt, zu einem entscheidenden Erfolg zu kommen. Auch muss das Volk durch demonstrative Maßnahmen auf die radikale und totale Kriegführung aufmerksam gemacht und hingewiesen werden, da auch die psychologische Dissonanz zwischen der Front und der Heimat nicht weiter erträglich erscheint. Ich bedauere sehr, dass Sauckel aus den eben erwähnten durchsichtigen Gründen sich in albernen Einwänden ergeht, die gar keine Substanz besitzen. Bormann unterstützt meine Forderungen sehr energisch und wird ihnen, wie er mir versichert, auch die nötige Rückendeckung beim Führer geben. [...]
10. Januar 1943: [...] Auch bezüglich der Politik den besetzten Ostgebieten gegenüber wird man jetzt, von seiten des Militärs vor allem, außerordentlich aktiv. Der Generalstab des Heeres hat eine Denkschrift ausgearbeitet, die in stichwortartiger Zusammenfassung die Probleme des Ostens zur Darstellung bringt. Diese Denkschrift soll in den nächsten Tagen dem Führer vorgelegt werden. Sie hat ungefähr folgenden Inhalt: Widerstandswille der Roten Armee ungebrochen. Verstärkte Kraftentfaltung der Sowjets unter der Parole des nationalen Krieges. Stimmung der bisher deutschfreundlichen Bevölkerungsteile verschlechtert sich zusehends. Bandengebiete breiten sich weiter aus und greifen auch nach den Reichskommissariaten Ostland und Ukraine über. [...] Verstärkte Bandentätigkeit und schwerwiegende Fehler in der Behandlung der Bevölkerung beeinträchtigen das deutsche Ansehen fühlbar. [...]
14. Januar 1943: Die Lage in Stalingrad ist natürlich weiterhin außerordentlich besorgniserregend. Alles hängt vom Wetter ab. Ist das Flugwetter halbwegs günstig, so können wir unsere dortigen Truppen halbwegs verpflegen und ausstatten. Bricht Schnee- und Nebelwetter ein, so ist das aus. Die eingeschlossenen Truppen sind auf denkbar geringste Rationen gesetzt: zum Teil erhalten sie am Tage 50 Gramm Brot und ernähren sich sonst nur von den letzten Resten ihres Pferdebestandes. Wenn man sich vorstellt, dass unsere Befreiungsarmee noch eine ganze Reihe von Wochen auf sich warten lassen wird, dann kann man sich von der Gespanntheit der dortigen Lage ein sehr klares Bild machen. [...] Kurz und gut, wir sind mitten in einer Winterkrise im Osten, die zwar nicht ganz so bedrohlich ist wie die im vergangenen Winter, aber doch ihre außerordentlich ernsten Vorzeichen hat. Sie äußert sich in ganz anderer Form als im letzten Winter. Im letzten Winter sickerten die Bolschewisten zwar durch unsere Fronten, aber sie hatten doch nicht das dazu gehörende untere Führerpersonal, um zu operativen Umschließungen zu schreiten. Das ist in diesem Winter an verschiedenen Stellen doch der Fall. Wir müssen also alle Kräfte anstrengen, um die erlittenen Nackenschläge wieder zu überwinden.
16. Januar 1943: Bei Stalingrad wird weiter außerordentlich hart gekämpft. Die Lage dort ist sehr ernst. Laut Lagemeldung ist die Truppe physisch am Ende. Es fehlt an Munition, und die Lebensmittelvorräte sind außerordentlich zusammengeschrumpft [...]
21.
Januar 1943: [...] Für den 30. Januar reiche ich dem Führer ein Ausweichprogramm
ein. Es ist augenblicklich nicht die Zeit, rauschende Feste zu feiern, auch
nicht in kriegsgemäßem Rahmen: Wir müssen uns auf einige Proklamationen beschränken.
In der Hauptsache denke ich daran, dass der Führer selbst eine Proklamation erlässt,
die ich, wenn er nicht nach Berlin kommen kann, im Sportpalast verlesen soll.
Der Führer zeigt sich im großen und ganzen meinen Vorschlägen geneigt und will
sie im einzelnen noch durchprüfen. [...]
Das große Thema ist natürlich Stalingrad.
Wir müssen uns allmählich mit dem Gedanken vertraut machen, das deutsche Volk
über die dortige Situation zu unterrichten, Das hätte eigentlich schon längst
geschehen können, aber bisher war der Führer immer noch dagegen. Schließlich
und endlich aber können wir die Dinge nicht so weit treiben lassen, dass wir
dem deutschen Volke erst sagen, wenn alles vorbei ist. In Stalingrad sind nahezu
eine Viertelmillion Menschen eingeschlossen: Wenn man diesen Verlust in Vergleich
setzt zu den bisherigen Verlusten im Osten überhaupt, dann wird man sich darüber
klar, was das bedeutet. [...]
Es spielen sich in Stalingrad menschliche
Tragödien von fast sagenhaftem Charakter ab. Was unsere Soldaten und Offiziere
dort zu leisten haben, übersteigt alle menschliche Vorstelllungskraft. Sicherlich
wird die dortige Lage dem deutschen Volke bald bekanntwerden. Zum großen Teil
ist sie ihm schon bekannt. Ich halte es deshalb für richtig, nun auch unsererseits
mit der Wahrheit herauszurücken, um für die Aufnahme der schrecklichen Nachricht
auch die nötige moralische Stütze bereitzuhalten. Für uns muss Stalingrad das
werden, was für den spanischen Freiheitskampf Alcazar (1936 im Bürgerkrieg
heftig umkämpfte und zerstörte Festung) gewesen ist: ein Heldenlied deutschen
Soldatentums, wie es ergreifender und tragischer überhaupt nicht erdacht werden
kann. Ich glaube, dass es uns gelingen wird, das deutsche Volk mit einer solchen
Darstellung des Falles Stalingrad nur noch enger an das Regime und an die Aufgaben
der Zeit anzuschließen. Im Zusammenhang mit der Totalisierung der Kriegführung
wird es überhaupt nötig sein, das deutsche Volk innerlich und äußerlich zu härten.
Der Krieg ist in ein Stadium eingetreten, in dem es uns nicht mehr erlaubt ist,
an den Dingen vorbeizureden. Wir müssen mit hartem Tatsachensinn der Entwicklung
in die wenn auch erbarmungslosen Augen hineinschauen. Je klarer wir uns über
die Situation sind, desto festere Entschlüsse werden wir daraus ziehen, und
je fester unsere Entschlüsse sind, desto größer werden einmal unsere Erfolge
werden.
23.
Januar 1943: [...] Der Führer schildert mir die Lage in Stalingrad,
die geradezu verzweifelt ist. [...] Es spielt sich dort ein Heldendrama der
deutschen Geschichte ab, wie es in dieser tragischen und erschütternden Form
bisher noch nicht dagewesen ist. Der Führer erklärt mir die ganze Entwicklung
an der Ostfront. Die heutige, so außerordentlich kritisch zugespitzte Lage ist
in der Hauptsache durch das vollkommene Versagen unserer Bundesgenossen entstanden.
Sie haben einfach nicht kämpfen wollen und beim ersten Vorrücken der Russen,
sobald sie eines Panzers ansichtig wurden, entweder die Waffen liegenlassen
und sind abgehauen, oder sie haben die Hände erhoben. Von Kampfentschlossenheit
ist in keiner Weise die Rede gewesen. Die Ungarn haben neben den Rumänen immer
nur an ihre spätere territoriale Auseinandersetzung gedacht, und umgekehrt ebenso.
Die Italiener haben sich genauso benommen wie in Nordafrika. Wenn man überhaupt
eine Liste der militärischen Tüchtigkeit anlegen wollte, so könnte man nur sagen:
Schlecht sind die Rumänen, noch schlechter sind die Italiener, und am allerschlechtesten,
unter jeder Kritik, sind die Ungarn. Sie haben z. B. die Ausrüstung einer ganzen
Panzerdivision einfach im Stich gelassen und sind abgehauen, ja zum Teil haben
sie sogar die Leerzüge, die Verwundete in die Heimat bringen sollten, gestürmt,
um damit die Reise nach Budapest anzutreten: sie konnten nur mit der blanken
Waffe davon abgehalten werden, eine Panik hervorzurufen. [...]
Ich fange
im Zusammenhang mit der Lage an der Ostfront gleich an, meine Gedanken vorzutragen,
und zwar habe ich mir vorgenommen, nicht hinter dem Berge zu halten, sondern
in großen Zügen alles das zu sagen, was ich nun seit Wochen und Monaten durchgegrübelt
und durchgesprochen habe und dessen Erkenntnisse mir so klar wie überhaupt nur
etwas vor Augen stehen. Ich sehe schon beim ersten Anlauf, dass ich beim Führer
das leichteste Spiel haben werde. Er hat sich innerlich auch schon sehr stark
mit diesen Gedanken beschäftigt und macht mir keine Schwierigkeiten, sondern
radikalisiert meine Ansichten in einer für mich geradezu beglückenden Art und
Weise. Wir dürfen jetzt gar keine Rücksicht mehr auf die Heimat nehmen. Die
Heimat hat kein Recht, im Frieden zu leben, wenn die Front ungeheure Lasten
und Gefahren auf sich nehmen muss. Sie muss in einem Umfange aktiviert werden,
von dem wir im Augenblick überhaupt noch keine Vorstellung haben. [...]
(Goebbels liest einige Briefe), die mit dem letzten Kurierflugzeug aus
Stalingrad gekommen und erst drei bis vier Tage alt sind. Sie sind erschütternd
in Diktion und Inhalt. Einfache Leute schreiben hier nach Hause Abschiedsbriefe,
die in der Gesamtheit gesehen ein einziges Heldenlied darstellen. Wenn man sich
vorstellt, in welcher Situation sich diese Leute augenblicklich befinden, wie
lange sie kaum noch etwas gegessen haben - eine Division beispielsweise hat
seit vier Tagen überhaupt keine Verpflegung bekommen, dann findet man ihre Haltung
umso bewundernswerter. Man kann nur mit tiefster Erschütterung an ihr Schicksal
denken. Wenn es eine Möglichkeit gäbe, sie zu retten, so würde ich gern dafür
fünf oder auch zehn Jahre meines Lebens, wenn nicht das ganze Leben hinopfern.
Aber es gibt sie nicht. Der Führer hat darüber, wie er mir sagt, tage- und nächtelang
nachgegrübelt. [...]
Der Führer beklagt sich auch sehr bitter bei mir darüber,
dass die Luftwaffe die von ihr gemachten Versprechungen in keiner Weise eingehalten
hat. Erst jetzt, da Milch die Organisation des Luftwaffentransports nach Stalingrad
in die Hand genommen hat, klappt sie etwas besser. Aber sie reicht natürlich
in keiner Weise aus. Das, was in Stalingrad tatsächlich ankommt, ist zum Leben
viel zuwenig und zum Sterben kaum zuviel. Wir müssen uns also wahrscheinlich
mit der bitteren Tatsache abfinden, dass die 22 Divisionen in Stalingrad als
verloren gelten müssen. (...)
Mitten in der Unterredung kommt ein Telefonat
von Zeitzler über die weitere Entwicklung der Lage in Stalingrad. Es ist sehr
ernst. Die Bolschewisten sind sechs Kilometer in die deutschen Linien eingebrochen.
Unsere Truppen sind nicht mehr widerstandsfähig: sie sind physisch durch Hunger
und Kälte so herunter, dass sie zu keinen Kampfleistungen mehr fähig sind. Der
Führer ist durch diese Nachrichten auf das tiefste erschüttert. Er hatte immer
noch gehofft, dass es vielleicht doch gelingen werde, eine gewisse Kampfgruppe
in Stalingrad zu halten und später sogar zu entsetzen [...]
Das alles gibt
für mich um so mehr Anlass, nun in voller Rücksichtslosigkeit mein Programm zum
Vortrag zu bringen. Ich wiederhole alle die Gedanken und Vorschläge, die ich
in diesen Blättern so oft als mein Programm niedergelegt habe. Ich bezeichne
das zusammenfassend als ein Reorganisationsprogramm der Heimat, das unter der
Überschrift: »Totale Kriegführung« steht.
Es beinhaltet die Frauenarbeitspflicht,
die Auflösung aller nicht kriegswichtigen oder kriegsnotwendigen Institute und
Unternehmungen und die restlose Einstellung der ganzen Heimatorganisation des
zivilen Lebens auf die Bedingnisse des Krieges selbst. Der Führer genehmigt
von vornherein alles das. was ich ihm vortrage. Ich finde keinerlei Schwierigkeiten
bei ihm: im Gegenteil, er geht in manchen Punkten noch weiter, als ich vorgeschlagen
habe. [...] Ich verspreche ihm, den Versuch zu machen, etwa eineinhalb bis zwei
Millionen Soldaten bis zum kommenden Sommer freizustellen. Dass das natürlich
einen umfassenden Umschichtungsprozess in der gesamtdeutschen Wirtschaft zur
Voraussetzung hat, ist klar: aber das lässt sich nicht vermeiden und ist mit
einigem Willen durchzuführen. [...]
Sehr bitter äußert sich der Führer
über Frick,
der in keiner Weise der Verwaltung und der inneren Organisation des Landes gewachsen
ist. Auch Göring
gegenüber hat er in der Frage der Totalität der Kriegführung kein besonders
großes Vertrauen. Wir haben also jetzt freies Feld. Der Führer lässt uns die
Zügel locker. [...] Die ganze Unterredung mit dem Führer verläuft äußerst dramatisch,
weil alle Augenblicke eine Nachricht von Stalingrad kommt, die meiner Darstellung
das nötige Tempo und die nötige Härte gibt. [...] Ich dringe deshalb auch darauf,
dass der Führer nun endlich seine Zustimmung zu einer offeneren und wahrheitsliebenderen
Nachrichtenpolitik gibt. Es gelingt mir, ihn in diesem Punkte vollkommen umzustimmen.
Er will, sobald die Dinge in Stalingrad als verloren aufgegeben werden müssen,
mit der vollen Wahrheit herausrücken und das deutsche Volk zu einer achttägigen
Trauer- und Stolzkundgebung aufrufen. In diesen acht Tagen müssen Theater und
Kinos geschlossen werden und die ganze Nation sich zu einer einheitlichen Kraftanstrengung
aufraffen.
Ich bin überzeugt, dass, wenn wir diesen Appell an die Nation
richten, sie ihm in vollem Umfange nachkommen wird. Ich schlage deshalb dem
Führer auch vor, den 30. Januar in verkleinertem Rahmen vor sich gehen zu lassen.
Das deutsche Volk und insbesondere die Front würden es gar nicht verstehen können,
dass wir jetzt in der Heimat Feste feiern, während in Stalingrad 220.000 Menschen
verhungern. Der Führer stimmt meinem Ausweichprogramm zu. Es wird also ungefähr
so verlaufen, dass nur Göring zur Wehrmacht spricht, der Führer eine Proklamation
an das deutsche Volk richtet, die ich in einer Massenkundgebung im Sportpalast
verlesen werde. Diese Proklamation wird das Härteste vom Harten darstellen.
Es wird in ihr keine Rücksicht auf Sentimentalitäten genommen, sondern es werden
in ihr die Forderungen aufgestellt, die die Lage gebietet. Die Partei wird diese
Forderungen verstehen und sich in ihrer Durchsetzung beim ganzen Volke zur ehernen
Spitze am bleiernen Keil machen. [...]
Ein junger Major, der als letzter
auf Befehl des Führers mit dem Flugzeug aus Stalingrad kam, hält beim Führer
und dann auch bei mir Vortrag. Seine Darstellung von der Lage in Stalingrad
ist erschütternd. Die Truppen haben nichts mehr zu essen, nichts mehr zu schießen
und nichts mehr zu feuern. Reihenweise sitzen sie in den Bunkern, verhungern
und erfrieren. Ein Bild von wahrhaft antiker Größe. Die Worte fehlen, dieses
Heldendrama zu schildern. In Stalingrad selbst hilft man sich mit dem Vergleich,
dass das Nibelungenlied in den Schatten gestellt sei. Es ist in der Tat so. Der
junge Major, der mir Vortrag hält, ist vollkommen abgemagert: die Augen sind
ganz in die Höhlen zurückgetreten: er spricht fahrig und nervös, aber durchaus
sachlich. Die Stimmung der Truppe schildert er als über jedes Lob erhaben. Man
kann nur den Heldenmut bewundern, mit dem diese einfachen Menschen sich für
die Sache des Reiches einsetzen. In ihren Briefen nehmen sie Abschied von ihren
Angehörigen und sehen dann stumm, aber bis zur letzten Patrone kämpfend, dem
Tod ins Auge. Durch die ganzen Truppenkontingente geht die Frage: »Wem gebührt
die letzte Kugel, dem Russen oder mir?« In Gefangenschaft begibt sich kaum einer.
Die Truppen sind so geschwächt, dass sie nicht einmal mehr die tatsächlich noch
herankommende Munition und Verpflegung nach vorn bringen können. Benzin ist
nicht mehr vorhanden, die Pferde sind verzehrt. Die ganze Truppe hat sich in
das Innere Stalingrads zurückgezogen und kämpft, solange es überhaupt nur geht.
Welch ein Heroismus offenbart sich hier, und welch eine harte und blutige Lehre
für uns, die gar nicht überhört werden darf!
Wenn ich jetzt noch Furcht
vor Dingen oder Menschen hätte, so würde ich mich vor mir selber schämen müssen.
Das kommt auch gar nicht mehr in Frage. Ich werde jetzt stur und eigensinnig
meinen Weg gehen, wo ich nur kann, und das fordern bzw. anordnen, was notwendig
ist. Ich bin glücklich in dem Gedanken, mich vor diesem Frontoffizier aus Stalingrad
nicht schämen zu müssen. Ich meinerseits habe all das getan, was ich tun konnte,
und ich werde jetzt - was ich bisher vielleicht hier und da versäumte - auch
dafür sorgen, dass mein Programm zum Allgemeingut des Staates, der Partei und
vor allem des deutschen Volkes wird. [...]
Der Führer ist mit mir der Meinung,
dass man die Judenfrage in Berlin schnellstmöglich lösen muss. Solange sich in
Berlin noch Juden befinden, können wir von einer inneren Sicherheit nicht sprechen.
Auch aus Wien müssen die Juden so schnell wie möglich heraus. Wir sind uns natürlich
alle klar darüber, dass die jetzt getroffenen Maßnahmen von entscheidender Bedeutung
sind. Wir müssen jetzt etwas tun, um zu einer Wendung des Krieges zu kommen.
Wir wissen alle, dass, wenn Deutschland den Krieg verlöre, Europa bolschewistisch
würde und das Reich selbstverständlich auch verloren wäre. Man legt sich jetzt
vor allem im Hinblick auf die Zehnjahresfeier am 30. Januar die Frage vor, was
aus Deutschland geworden wäre, wenn der Nationalsozialismus nicht gekommen wäre.
Angenommen, ein bürgerliches Deutschland, sagen wir unter Brüning oder Papen,
wäre mit einer 100.000-Mann-Reichswehr der bolschewistischen Militärmaschine
entgegengetreten - es wäre in einem Blitzkrieg überrannt worden: es hätte kaum
noch Widerstand geleistet, und über Europa wehte heute die rote Fahne mit Hammer
und Sichel. Auch damals standen unsere Chancen 50:50. Im November und Dezember
1932 wusste man durchaus nicht, dass der Nationalsozialismus siegen würde. Der
Kommunismus hatte ebensoviel Chancen. Nur weil wir uns durchgesetzt haben und
an unseren Sieg glaubten, ist die entscheidende Wendung gekommen. (Anm.:
Was für ein Schwachsinn, die KPD redete zwar immer von der "Revolution",
hatte aber keinerlei Chancen - die NSDAP besaß nicht nur mehr als doppelt so
viele Anhänger, sondern hatte auch die herrschenden Kreise, Großunternehmungen,
Schwerindustrie, Militär, hinter sich) Ich führe dafür eine ganze Reihe
von Beispielen an, die dem Führer außerordentlich gefallen. Er wird sie in seinen
nächsten Aussprachen, vor allem mit der Generalität, in Gebrauch nehmen. Jedenfalls
müssen wir heute davon überzeugt sein, dass wir die letzte Rettung Europas sind.
Wenn wir den Bolschewismus nicht aufhalten, wer sollte ihn dann noch aufhalten
können? [...]
28.
Januar 1943: Das sensationelle Ereignis dieses Tages ist die Zusammenkunft
zwischen Churchill und Roosevelt in Casablanca. Die Besprechungen haben also
nicht, wie wir angenommen hatten, in Washington, sondern auf dem heißen Boden
Afrikas stattgefunden. Unser Nachrichtendienst hat wieder einmal vollkommen
versagt und nicht einmal den Ort der Besprechungen feststellen können. Diese
haben fast vierzehn Tage gedauert und werden von der Feindpresse pompös als
Pforte zum Siege aufgemacht. [...]
Stalin glänzte durch Abwesenheit. Er
hatte nicht einmal einen Vertreter geschickt, was im Kommuniqué bitterlich bedauert
wird. Stalin hat erklären lassen, er sei nicht abkömmlich, da er die jetzige
Offensive führen müsse. In Wirklichkeit denkt Stalin wahrscheinlich nicht daran,
sich in die angelsächsischen Packeleien einzumischen. Er glaubt wahrscheinlich,
auf eigene Faust und mit eigenen Mitteln mit Europa fertig werden zu können.
Das drückt sehr auf die englische und auch auf die amerikanische öffentliche
Meinung. [...]
Ich bespreche mit Oberst von Wedel die Behandlung der kommenden
Abschlussmeldung über Stalingrad. Wir müssen diese Frage vor der deutschen Öffentlichkeit
außerordentlich vorsichtig behandeln. Vor allem muss dabei eine Sprache geführt
werden, die dem geschichtlichen Gewicht dieses heroischen Kampfes gerecht wird.
Wir müssen uns darüber klar sein, dass noch in Jahrhunderten die Nachricht von
der Liquidierung Stalingrads als Beispiel in der Geschichte verzeichnet stehen
wird. Ich schlage für die daraus entstehende Schockwirkung eine Reihe von Abstützungsversuchen
vor, die zweifellos zu einem gewissen Ergebnis führen werden. Es ist klar, dass
die Frage Stalingrad im deutschen Volke heiß diskutiert wird und dass wir starke
auch psychologische Schwierigkeiten zu überwinden haben, um diesen Fall klarzumachen.
Was am meisten bedrückt, ist, dass, wahrscheinlich von den Offizieren des OKH
ausgehend, Gerüchte verbreitet werden, die die Führungsautorität des Führers
zu unterminieren geeignet sind. Ich werde alles daransetzen, um mich der üblen
Wirkung dieser Gerüchte entgegenzustemmen. [...]
1.
Februar 1943: Die Lage im Südteil Stalingrads ist geradezu verzweifelt geworden.
Wenn man sich vorstellt, dass jetzt die Verwundeten und Kranken schon keine Nahrung
mehr bekommen, dann kann man daran den Grad der menschlichen Katastrophe, die
sich dort abspielt, ermessen. Wir geben den Südteil nun gänzlich auf. Von Paulus,
der übrigens noch zum Generalfeldmarschall befördert worden ist, kommt als Letztes
die Nachricht, dass die Russen vor den Türen stehen und dass er nunmehr seine
Übermittlungsapparatur zerstören müsse. [...]
Wir stellen uns die Frage,
ob Generalfeldmarschall Paulus überhaupt noch lebt. Es bleibt für ihn ja nach
Lage der Dinge nichts anderes als ein ehrlicher Soldatentod übrig. Das Schicksal
hat ihn in eine Situation hineingestellt, in der er, zumal da schon so viele
seiner Leute gefallen sind, auf fünfzehn oder zwanzig Jahre seines Lebens verzichten
muss, um seinen Namen auf Jahrtausende lebendig zu erhalten. Man kann wohl der
Befürchtung Ausdruck geben, dass damit die Kämpfe in Stalingrad sich ihrem Ende
zuneigen. Man vermag sich nicht vorzustellen, wie sich unsere Truppen dort noch
auf längere Zeit halten könnten. [...] Neben Paulus hat der Führer noch Weichs,
Busch und Kleist zu Generalfeldmarschällen ernannt. Sie haben sich bei den Abwehrschlachten
dieses Winters ein überragendes Verdienst erworben. Der Nordteil in Stalingrad
hält sich noch. Es entsteht nur die Frage, auf wie lange.
In London wie
in Washington kann man sich doch dem Eindruck der großen politischen Reden und
Proklamationen vom 30. Januar nicht entziehen. Die Rede Görings wird etwas belächelt.
Das liegt wohl in der Hauptsache daran, dass er seine Kundgebung um eine Stunde
wegen ein paar englischer »Mosquito«-Flugzeuge verschoben hat. Die englische
Presse wirft ihm nun vor, dass er einmal erklärt habe, er wolle Meier heißen,
wenn je ein englisches Flugzeug über Berlin erscheine, und jetzt seine eigene
Rede wegen ein paar englischer Flugzeuge aufschieben müsse. Aber das ist eine
sehr kurzsichtige und alberne Kritik der Engländer, die von uns nicht ernst
genommen zu werden braucht. Im Übrigen versteifen sich die Engländer auf diesen
einen Umstand der Kundgebungen vom 30. Januar, um nicht in eine für sie peinliche
Auseinandersetzung über die Gefahr des Bolschewismus hineinzugeraten. Meine
Rede wird als außerordentlich vertrauensvoll dargestellt. Man gibt zu, dass die
Stimmung im Sportpalast eine derartige gewesen ist, dass man vorläufig keine
Hoffnung hegen könne, das deutsche Volk bräche über kurz oder lang zusammen.
Das war auch der Sinn der Übung. Die Berliner haben im Sportpalast durchaus
politisch gehandelt und sich um die Interessen des Reiches in der gegenwärtigen
Lage ein großes Verdienst erworben. Wenn sie stumm und steif auf ihren Plätzen
sitzen geblieben wären, dann hätten die Engländer zweifellos daraus gefolgert,
dass in Deutschland eine defaitistische Stimmung herrsche und die Möglichkeit
eines moralischen Zusammenbruchs doch über kurz oder lang gegeben sein könnte.
Aus der Führerproklamation lesen die Engländer angeblich Angst. Das aber
tun sie auch, um nicht auf das Hauptthema zu sprechen kommen zu müssen. Die
Kommentare in London sind außerordentlich lang, bewegen sich aber doch immer
um denselben Punkt. Sie sind frech und überheblich gehalten. Die Engländer reden
jetzt dumm und hochnäsig und verfahren dabei meiner Ansicht nach außerordentlich
kurzsichtig. Sie machen ihr eigenes Volk nicht auf den Zuwachs an Potential
aufmerksam, den wir zweifellos durch die Einführung totalerer Kriegsmethoden
im Reich erreichen werden. Nur vereinzelt erklären englische Blätter, dass ein
übertriebener Optimismus im Augenblick noch durchaus unangebracht sei: das Reich
verfüge noch über so große Hilfsquellen, dass man sich auf einen langen Krieg
gefasst machen müsse. [...]
2.
Februar 1943: Aus Moskau kommt die deprimierende Nachricht, dass Paulus und
vierzehn seiner Generäle in bolschewistische Gefangenschaft geraten seien. Diese
Nachricht ist alles andere als beglückend. Man kann sich vorstellen, welche
psychologischen Folgen sie haben wird, wenn sie den Tatsachen entspricht. Vorläufig
kann man das noch nicht feststellen. [...] In London bricht man geradezu in
ein Hohngeschrei aus. Der Südkessel ist jetzt von den Sowjets gänzlich ausgeräumt
worden. Wäre Paulus
dabei wirklich in Gefangenschaft geraten, so stellte das für uns im Hinblick
auf die außerordentlich schweren Opfer, die wir an Mannschaften und Offizieren
haben, einen kaum wiedergutzumachenden Prestigeverlust dar. Man mag der Meinung
Ausdruck geben, dass es leicht ist, von Berlin aus eine solche Sache nach dem
ungeschriebenen nationalen Ehrenkodex zu beurteilen; aber immerhin muss hier
mit in Betracht gezogen werden, dass der Befehlshaber in Stalingrad die Wahl
hatte, entweder 15 oder 20 Jahre länger zu leben oder ein mehrtausendjähriges
ewiges Leben in unverwelklichem Ruhm zu gewinnen. Diese Wahl kann meiner Ansicht
nach nicht schwergefallen sein. [...]
Die Bolschewisten erklären jetzt,
dass die ganze Katastrophe von Stalingrad nur auf die Starrköpfigkeit des Führers
zurückzuführen sei. Entgegen den Ratschlägen seiner Generäle habe er an seinem
Entschluss festgehalten, die Position in Stalingrad zu halten und keinen Rückzug
anzutreten. Die Zahl der in Stalingrad vernichteten Truppen wird jetzt von den
Bolschewisten künstlich auf 330.000 Mann heraufgeschraubt. Die Bolschewisten
bringen auch ein Kommuniqué über die dort gemachte Beute. Auch dies Kommuniqué
ist wahnsinnig übertrieben. Aber das wäre alles nicht so schlimm, wenn wir aus
dieser Katastrophe wenigstens mit einem moralischen Erfolg herauskommen. Dieser
allerdings wäre sehr gefährdet, wenn Paulus lebend in bolschewistische Hände
geraten wäre. Ich möchte darüber noch kein endgültiges Urteil abgeben, bevor
nicht nähere Nachrichten vorliegen. Es kann sich um eine Tatsache handeln, die
außerordentlich zu bedauern wäre, es kann sich aber auch um ein sowjetisches
Bluffmanöver handeln, das jedoch sehr bald schon aufgedeckt werden würde. Wir
müssen abwarten, wie die Sowjets weiter prozedieren. Unter Umständen kann das
einige Tage dauern: denn ob sie Paulus haben oder nicht, es liegt in ihrem Interesse
- da sie wissen, dass wir den wahren Sachverhalt nicht wissen können -, uns noch
etwas zappeln zu lassen. Auch der Führer teilt meine Meinung über den Fall Paulus,
wenn er wirklich sich so verhielte, wie die Sowjets ihn darstellen. Aber so
weit wollen wir im Augenblick noch nicht gehen. Unter Umständen tun wir dem
Generalfeldmarschall schwerstes Unrecht. Man muss abwarten, wie die Dinge sich
tatsächlich gestaltet haben. Dann erst kann man ein Urteil abgeben. Im Übrigen
kämpft die Nordgruppe in Stalingrad immer noch mit verbissener Wut. Die Sowjets
werden noch einige Schwierigkeiten zu überwinden haben, sie zu überrennen. Aber
an dem endgültigen Schicksal ist wohl kaum noch etwas zu ändern.
4.
Februar 1943: Wir sind nunmehr gezwungen, die Aufgabe Stalingrads dem deutschen
Volke mitzuteilen. Das ist ein sehr bitterer, aber notwendiger Entschluss. Wir
bringen die Nachricht als Sondermeldung nachmittags gegen 4 Uhr im Rundfunknachrichtendienst
und machen sie mit einem entsprechenden heroischen Zeremoniell auf. Ich stimme
alle Einzelheiten mit dem Führer persönlich ab, der sich meinen Vorschlägen
im ganzen anschließt. Bei Gelegenheit der Bekanntgabe der Aufgabe von Stalingrad
erlasse ich eine Kundmachung, nach der für das ganze Reichsgebiet bis einschließlich
Sonnabend sämtliche Theater, Kinos und Vergnügungsstätten geschlossen werden.
Ich glaube, dass diese Maßnahme den Empfindungen des Volkes entspricht.
Das Volk ist jetzt sehr ernst und gehalten und erwartet von der Führung in dieser
schweren Stunde ein Wort des Trostes und der Aufrichtung, aber auch der Stärkung
der Gemüter. Unsere Meldung trägt diesen Gefühlen in jeder Weise Rechnung. Sie
ist ernst, sachlich, nüchtern, unpathetisch, aber auch ohne jede Kälte. Man
merkt ihr die tiefe geschichtliche Verpflichtung an, die hinter dem ganzen Drama
von Stalingrad steht. Es ist immer noch die Frage, ob Generalfeldmarschall Paulus
noch lebt oder ob er freiwillig in den Tod gegangen ist. Die Bolschewisten beharren
darauf, dass er sich in ihrer Hand befinde, und ich glaube, es besteht kaum ein
Zweifel an der Richtigkeit dieser Meldung. So fest und bestimmt würden selbst
die Sowjets das nicht behaupten, wenn sie Paulus nicht tatsächlich in ihren
Händen hätten. Diese Tatsache stellt für das Heer eine schwere moralische Einbuße
dar. Man vermag im Augenblick noch nicht zu übersehen, zu welchen Weiterungen
in psychologischer Hinsicht das führen wird.
Die Sowjets prahlen mit einer
Riesenbeute, die sie angeblich in Stalingrad gemacht haben. Es wird ihnen sehr
viel in die Hände gefallen sein, aber das meiste haben unsere Soldaten sicherlich
rechtzeitig zerstört. Die Meldung von Stalingrad übt im deutschen Volke eine
Art von Schockwirkung aus. Man hatte sie zwar erwartet, aber nun, da sie da
ist, ist sie doch schmerzlicher, als man zuerst gedacht hatte. Wir müssen jetzt
alles tun, das Volk über diese schwere Stunde hinwegzubringen. Ich lasse auch
das ganze Rundfunkprogramm umstellen. Der Unterhaltungs- und Sportteil wird
gänzlich gestrichen und die Sendefolge ausschließlich auf ernste und klassische
Musik eingestellt. [...]
8.
Februar 1943: (Hitler spricht zu führenden NS-Funktionären) Der Führer
hält vor ihnen ein fast zweistündiges Referat über die allgemeine Lage. Es ist
erstaunlich, mit welcher Offenheit, um nicht zu sagen Brutalität des Wahrheitsfanatismus
der Führer vor diesem kleinen Kreise die Lage charakterisiert. Er beginnt gleich
mit der Feststellung, dass er heute mehr denn je an den Sieg glaube und sich
in dieser Gläubigkeit durch kein Ereignis beirren lassen wolle und beirren lassen
werde. Unsere Situation sei in ihren Schwierigkeiten in keiner Weise mit den
schweren Parteikrisen aus der Vergangenheit zu vergleichen. Wenn auch die Dimensionen
ganz andere geworden seien, die Mittel und Methoden, mit denen wir früher Parteikrisen
überwunden hätten, müssten jetzt auch zur Anwendung kommen, um die gegenwärtige
militärische und politische Krise zu überwinden. Die Katastrophe an der Ostfront
wird vom Führer in allen Einzelheiten geschildert. Er legt noch einmal dar,
wie sie entstanden sei, nämlich durch das vollkommene Versagen unserer Verbündeten,
zuerst der Rumänen, dann der Italiener und dann der Ungarn. [...]
Was die
Verluste in Stalingrad anlangt, so erklärt der Führer, dass in Stalingrad bei
Beginn der Aktion 240.000 Mann gewesen seien. Davon seien aber größere Kontingente
noch aus der Umklammerung entwichen, viele seien auch als Verwundete aus Stalingrad
heraustransportiert worden. Man könne hoffen, dass auch eine große Anzahl in
Gefangenschaft geraten sei. Er schätze die Totalverluste in Stalingrad durch
Tod auf etwa 100.000. [...]
Was die weitere Menschenzufuhr zur Ostfront
anlangt, so hat der Führer den festen Entschluss, den Jahrgang 1925 richtig auszubilden
und ihn nicht in die Schlacht hineinzuführen. Halbausgebildete junge Leute will
der Führer überhaupt nicht zum Kämpfen bringen. Sie stellen ja nur Kanonenfutter
dar. Der Jahrgang 1925 umfasst rund 600.000 Mann. Diese 600.000 Mann müssen wir
uns als operative Reserve vorbehalten, die für Aktionen offensiven Charakters
eingesetzt werden solle. Ausführlich spricht der Führer dann über die Psychologie
des Krieges. Er macht sich meine Darlegungen über die Optik des Krieges hundertprozentig
zu eigen, und zwar steht er nicht nur auf dem Standpunkt, dass wir in der Heimat
alles das tun müssen, was uns Menschen für Front und Rüstungsindustrie schafft,
sondern auch alles, was uns Menschen erhält. Die Gauleiter sollten sich wieder
der Kampfzeit erinnern, wo wir auch, und das mit Erfolg, nach solchen Methoden
des totalen Sieges prozediert hätten. Besondere Worte widmet der Führer den
so genannten Luxuslokalen. Er vertritt hier denselben radikalen Standpunkt wie
ich. Freßrestaurants, die im Volke aufreizend wirken und nur von einigen hohen
Offizieren oder Staatsbeamten besucht würden, hätten heute keine Daseinsberechtigung
mehr. Er nennt hier Horcher als Beispiel, eine scharfe unausgesprochene Zurückweisung
für Göring, der sich ja wenigstens in der ersten Zeit noch für solche Lokale
auf das wärmste eingesetzt hat. Der Führer vertritt den Standpunkt, dass nur
die Partei die gegenwärtige Krise überwinden kann. [...]
Es könne natürlich
keine Rede davon sein, dass das Reich aus dem letzten Loch pfeife. Wir hätten
einen ernsten Rückschlag erlitten. Dieser sei aber nicht einmal lebensbedrohend,
geschweige denn tödlich. Es kommt jetzt alles darauf an, welche Konsequenzen
wir aus diesem Rückschlag zögen. Der Feind kämpfe unter Zuhilfenahme der Technik.
Sein Infanteriematerial sei denkbar schlecht. Es müsse für uns ein direkt zerschmetternder
Gedanke sein, wenn wir uns vorstellten, dass wir als die höchste Rasse Europas
am Ende der Technik eines Halbaffenvolkes zum Opfer fielen. Davon könne gar
keine Rede sein. Im Übrigen habe die Weltgeschichte ihren tieferen Sinn, und
der bestehe nicht darin, dass die höchste Rasse Europas zum Schluss von einer
der minderwertigsten zugrunde gerichtet würde. Im Übrigen hätten wir noch eine
ganze Reihe von Trumpfkarten in der Hand. Wie der Führer aus internen Informationen
erfahren hat, haben wir im vergangenen Jahr dreimal soviel an feindlichem Schiffsraum
versenkt, als der Feind an neuem Schiffsraum gebaut hat. Das heißt also, dass
die Tonnagelage, wie ja auch aus der englischen und amerikanischen Presse jeden
Tag wieder zu Entnehmen ist, für den Feind täglich bedrohlicher wird. [...]
Das letzte Bataillon und die letzte Viertelstunde werden entscheiden. [...]
Der Führer hofft eindringlich, dass es ihm gelingen werde, bis zum Ende des kommenden
Frühjahrs wieder seine operative Freiheit zurückzugewinnen. Dann werden wir
bald wieder obenauf sein. [...]
13.
Februar 1943: Ich aktiviere im Innern und nach außen hin unseren
propagandistischen Kampf gegen den Bolschewismus. Ich mache daraus eine propagandistische
Großaktion erster Klasse, und zwar soll sie sich auf mehrere Wochen erstrecken.
Jeder Artikel, jede Auslassung, jede Nachricht soll mit dem »ceterum censeo«
des alten Catilina enden (Goebbels verwechselt hier Catilina mit Cato, der
seine Reden im altrömischen Senat mit dem Satz "ceterum censeo Karthaginem
esse delendam" - im Übrigen bin ich der Meinung, Karthago müsse zerstört
werden - beendete). Wir können mit dieser Parole unter Umständen die ganze
internationale Öffentlichkeit gegen die Sowjetunion alarmieren und sogar in
die feindliche öffentliche Meinung eine Bresche schlagen. Dieser Feldzug muss
mit Konsequenz und Zähigkeit geführt werden. Er darf nicht von einem Tag auf
den anderen anfangen und angehalten werden, sondern er soll ein Propagandastück
auf Dauer darstellen. [...]
Es muss deshalb weiter gehetzt und angetrieben
werden. Zu diesem Behuf berufe ich für nächsten Freitag eine neue Massenkundgebung
im Sportpalast ein, die ich wieder mit richtigen alten Parteigenossen bestücken
lassen will. Möglichst viele Prominente sollen dazu eingeladen werden, und ich
werde eine Rede halten, die an Radikalismus alles bisher Dagewesene übertrumpft.
An der Reaktion aus dem Publikum können dann die Prominenten feststellen, wie
eigentlich der Hase läuft. Manche hohen Behörden- und Parteiprominenten haben
den Kontakt mit dem Volke schon so weit verloren, dass sie gar nicht mehr wissen.
was das Volk eigentlich will. Das muss ihnen durch eine solche Versammlung wieder
einmal plastisch vor Augen geführt werden. [...]
Im Übrigen kann ich feststellen,
dass der Führer noch nicht einen einzigen meiner Vorschläge abgelehnt hat. Auch
meine neuen Maßnahmen bezüglich der Optik des Krieges in Berlin sind von ihm
gebilligt worden. Der Führer ist viel radikaler, als man allgemein annimmt,
wenn wir es nur verhindern könnten, dass die Halbstarken sich immer wieder Zugang
zu ihm verschaffen und ihn nach der flauen Richtung hin zu beeinflussen versuchen.
Aber das wird ja auch auf die Dauer aufhören. Ausschlaggebend ist der Verlauf
der nächsten Massenversammlung im Sportpalast. Ich werde diese Versammlung wieder
über alle Sender übertragen lassen, um damit auch auf die öffentliche Meinung
in den einzelnen Gauen einen Druck auszuüben, so dass also ein Gauleiter, wenn
er sich gegen diese oder jene harte Maßnahme bisher noch geweigert hat, sich
vielleicht doch bequemen wird, das bisher Versäumte nachzuholen, weil er sonst
allzustark unter den Druck der öffentlichen Meinung gerät.
Wir müssen jetzt
wieder die bewährten Kampfmittel aus der Zeit vor 1933 zur Anwendung bringen.
Auch da sind wir manchmal etwas demagogisch verfahren; aber es hat doch fast
immer zum Erfolg geführt. Eine gute Demagogie ist durchaus keine verächtliche
Sache: wenn man sie für ein großes Ziel einsetzt, dann hat sie auch schon ihre
moralische Begründung. Ich bin dazu jetzt mit aller Rücksichtslosigkeit entschlossen.
[...]
15. Februar 1943: Die Krise an der Ostfront ist noch ständig im Steigen begriffen. Wir haben für die nächsten Tage eine Reihe weiterer Schläge zu erwarten. [...] Für uns entsteht die schwere Frage, ob es uns in absehbarer Zeit überhaupt gelingen wird, eine neue Verteidigungsfront zu bilden. Es macht den Anschein, als hätten wir im Augenblick nicht die Möglichkeit, uns irgendwie einmal wieder festzusetzen, gleichgültig an welcher Stelle. [...]
19.
Februar 1943: Am Nachmittag um 5 Uhr (am 18.2.1943) findet nun die lange
erwartete Sportpalastversammlung statt. Der Besuch ist überwältigend: schon
um halb fünf Uhr muss der Sportpalast wegen Überfüllung gesperrt werden. Die
Stimmung gleicht der einer wilden Raserei des Volkes. [...] Der Berliner stellt
das politischste Publikum, über das wir augenblicklich im Reich verfügen. Fast
das gesamte Reichskabinett, eine ganze Anzahl von Reichs- und Gauleitern und
fast alle Staatssekretäre sind im Sportpalast vertreten: kurz und gut, diese
Versammlung stellt einen Querschnitt durch das ganze deutsche Volk dar. Ich
bin, glaube ich, rednerisch sehr gut in Form und bringe die Versammlung in einen
Zustand, der einer totalen geistigen Mobilmachung gleicht. Der Schluss der Versammlung
geht in einem Tohuwabohu von rasender Stimmung unter. Ich glaube, der Sportpalast
hat noch niemals, auch nicht in der Kampfzeit, solche Szenen erlebt. Das Volk
ist, wie diese Kundgebung bezeugt, bereit, alles für den Krieg und für den Sieg
hinzugeben.
Wir brauchen jetzt nur zuzugreifen. Allerdings, täten
wir das nicht, so würde sich, wie ich schon verschiedentlich betonte, diese
Bereitschaft in Bitterkeit verwandeln. Aber ich werde schon dafür sorgen, dass
der totale Krieg nicht nur auf dem Papier stehen bleibt. [...] Die Übertragung
der Sportpalastkundgebung mit meiner Rede findet abends von 8 bis 10 Uhr im
Rundfunk statt. Ich glaube, dass sie im Volke den tiefsten Eindruck hinterlassen
wird. Ich höre mir noch einmal die Übertragung der zehn Fragen und Antworten
des Publikums an. Die Ja-Rufe und die Ovationen der Sportpalastbesucher drohen
fast den Lautsprecher zu sprengen. Auch auf die Engländer wird das nicht ohne
Eindruck bleiben. Sie können jedenfalls daraus entnehmen, dass in Deutschland
von einer nachgiebigen Stimmung überhaupt keine Rede sein kann. Es wird vielfach
am Abend die Meinung vertreten, dass diese Versammlung eine Art von stillem Staatsstreich
darstellt. Wir sind einfach über die Hürden, die die Bürokratie vor uns aufgebaut
hatte, hinweggesprungen. Der totale Krieg ist jetzt nicht mehr eine Sache weniger
einsichtiger Männer, sondern er wird jetzt vom Volke getragen. In der Führung
wird sich ihm niemand mehr entgegenstellen können. Hoffentlich wird das Wort
wahr, das ich an den Schluss meiner Rede gestellt habe: »Nun, Volk, steh auf
und Sturm brich los!«
21. Februar 1943: Wohl kaum ist während des ganzen Krieges in Deutschland eine Rede gehalten worden, die so lebhaft über den ganzen Erdball zitiert und kommentiert wird wie diese Sportpalastrede vom 18. Februar. Sie beherrscht immer noch die Schlagzeilen der großen Blätter in allen Ländern der Erde. [...] Die Wirkung im Inland ist enorm. Ich entnehme das einem zusammenfassenden Bericht der Reichspropagandaämter, der außerordentlich positiv ist. Die deutsche Presse hat die Rede großartig aufgemacht und dazu sehr wirksame Kommentare geschrieben. Nur der SD-Bericht sticht von der allgemeinen Meinung ab. Hier hat man mit Fleiß alle stänkerischen Stimmen zusammengesucht, um sie zu einem Konglomerat von Kritik zusammenzufassen. Ich wende mich schärfstens gegen diese Methoden des SD, die mir in letzter Zeit schon einige Sorgen bereitet haben. Im SD haben die verantwortlichen Leute, die diese Berichte verfassen, etwas die Nerven verloren. Sie bewegen sich zuviel in Berlin im Regierungsviertel und glauben, dass die Stimmung, die hier von den höheren Beamten zur Schau getragen wird, die allgemeine Stimmung des deutschen Volkes sei. Die neutrale Presse bringt geradezu phantastische Artikel über mich persönlich und über die Art meiner Propaganda. Man liest beispielsweise in Berner, Baseler und Züricher Zeitungen Kommentare, wie sie mit einer solchen warmen Sympathie selbst in der deutschen Presse nicht geschrieben werden könnten. Alles in allem genommen, kann man feststellen, dass die Rede hundertprozentig ihren Zweck erreicht hat. Ich kann über diesen propagandistischen Erfolg außerordentlich glücklich sein. Wenn der Kampf gegen den Bolschewismus einen geistigen Boden haben musste, so hat er ihn hier bekommen. [...]
Abschließend könnte man sarkastisch zusammenfassen: Zwar sind in Stalingrad massenhaft Menschen gestorben, aber Goebbels hat ihren Tod genial verkauft, sogar die Auslandspresse lobte seine Rede, die Primadonna des Nationalsozialismus ist ganz hingerissen von sich selbst. Und das deutsche Volk zieht in den "totalen Krieg"...