Ein Bischof als Nazikomplize: Der Fluchthelfer Alois C. Hudal

Alois Hudal (geb. 31. Mai 1885 in Graz, gest. 19. Mai 1963 in Rom) war ein katholischer Theologe und Titularbischof sowie Fluchthelfer zahlreicher Kriegsverbrecher des Zweiten Weltkriegs.

Werdegang: Hudal studierte von 1904 bis 1908 Theologie in Graz und wurde am 19. Juli 1908 zum Priester geweiht. 1911 promovierte er zum Dr. theol. in Graz und ging anschließend zum Studium am deutschen Priesterkolleg Santa Maria dell'Anima nach Rom. Dort erlangte er eine zweite Promotion und die Habilitation auf dem Gebiet des Alten Testamentes. Anschließend befasste sich Hudal intensiv mit den Ostkirchen und sollte auch auf diesem Gebiet einen Lehrstuhl in Wien erhalten, der allerdings nicht eingerichtet wurde. Stattdessen wurde er 1919 außerordentlicher, ab 1923 ordentlicher Professor für Altes Testament in Graz. 1923 wurde Hudal als Rektor an das Priesterkolleg Santa Maria dell'Anima ("Anima") berufen, das er in den folgenden Jahren zum geistigen Zentrum der deutschen Geistlichen in Rom auszubauen suchte. Er lernte dort auch Eugenio Pacelli kennen, den päpstlichen Nuntius für Deutschland und späteren Papst Pius XII., der ihn 1933 zum Bischof weihte.

Verhältnis zum Nationalsozialismus: Am 1. Mai 1933 sagte Hudal vor Gästen der Anima, darunter die Botschafter des Deutschen Reiches in Italien und im Vatikan und Vertreter von NSDAP-Organisationen u.a.:
"In dieser Schicksalsstunde begrüßen die auslandsdeutschen Katholiken das kommende Deutsche Reich, dessen Grundlagen auf Christustreue und Volkstreue aufgebaut werden sollen. (..) Die glanzvolle Vergangenheit des deutschen Volkes wird wieder lebendig. Je mehr die vaterlandslosen Elemente aus dem öffentlichen Leben verschwinden, die in den Tagen des Umsturzes den deutschen Soldatenstand geschändet und mit ihm alles, was in der deutschen Geschichte groß und heilig war, in den Kot gezogen haben, desto mächtiger soll der große völkische Gedanke erwachen, das erhabene Bewusstsein der Einheit aller Deutschen in Sprache und Kultur. (..) So wollen wir den falsch verstandenen Pazifismus bekämpfen, der mit Schlagworten ewige Ketten an unseren Händen lassen möchte, die unwürdige Friedensverträge geschmiedet haben, und der deutschen Jugend die Wehrhaftigkeit als den hohen Wert männlicher Jugend zurückerobern".
Hudal nahm zwar auch die Gefahren für die katholische Lehre wahr, die von den Lehren nationalsozialistischer Ideologen wie Alfred Rosenberg ausgingen und setzte sich für ein kirchliches Verbot solcher Lehren durch die Kongregation für die Glaubenslehre und die Indizierung entsprechender Werke ein. Aber andererseits sah Hudal Gemeinsamkeiten in den Zielen des Nationalsozialismus und der Katholischen Kirche, vor allem was die Wiederherstellung einer antimodernistischen Ordnung und die Abwehr des Bolschewismus betraf. Das Hauptanliegen Hudals war "die Vernichtung der kommunistischen und bolschewistischen Weltgefahr", wozu sich Österreich neben Deutschland in die antisowjetische Front eingliedern möge und hierbei die Kirche als besten Bundesgenossen ansehen dürfe.
In seinem Hauptwerk "Die Grundlagen des Nationalsozialismus" (1936) strebte er ein Zusammenwirken zwischen Katholizismus und Nationalsozialismus an, was er auch eindeutig zum Ausdruck brachte. Das Buch, das am Vorblatt ein Hitler-Zitat enthielt, befürwortete den Nationalsozialismus, sofern dieser nicht versuche, den Platz des Christentums einzunehmen, "das Erstgeburtsrecht der Religion über allen anderen Werten" gewahrt bleibe. "Niemand im katholischen Lager leugnet das Positive, Große und Bleibende, das in dieser Bewegung gelegen ist, die neue Probleme berührt und Fragen aufgeworfen hat, mit denen das Christentum sich auseinandersetzen muss, um eine moderne Synthese von Deutschtum und Glaube zu finden. Die deutschen Katholiken sind vom besten Willen beseelt, das neue Deutschland zu bejahen, wenn sich sein Aufbau in der Abkehr nicht bloß vom politischen, sondern auch vom kulturellen Liberalismus vollzieht. (..) Die reichsdeutschen Katholiken lassen sich in ihrer Treue zu Volk und Reich von niemand übertreffen und bejahen die nationalsozialistische Revolution, weil ein Gericht über das Zeitalter der individualistischen Absonderung und Auflösung war, eine Rückbesinnung auf die ewige Schöpfungsordnung, auf die Blut- und Schicksalsgemeinschaft der Deutschen und auf die völkische Wesensart. Sie sehen in dieser Bewegung die straffe Zusammenfassung und Vereinheitlichung der staatstragenden Kräfte, eine starke Führerverantwortung, in der die liberal-demokratische Fiktion von der Selbstregierung des Volkes verdrängt ist."
Das Vorwort des Buches endete mit "Rom, am 11. Juli 1936, dem Tag der Verständigung von Deutschland und Österreich."
Anm. zum 11.7.1936: Nach Verhandlungen mit Österreich wird eine "Normalisierung der Beziehungen" verkündet. Deutschland anerkennt die volle Souveränität Österreichs und will sich nicht mehr in die inneren Angelegenheiten einmischen. Österreich verpflichtet sich, "die Politik im allgemeinen und insbesondere gegenüber dem Reich stets auf jener grundsätzlichen Linie zu halten, die der Tatsache, dass Österreich sich als deutscher Staat bekennt, entspricht." Das Abkommen bringt die Abschaffung der Tausend-Mark-Sperre (einer 1933 eingeführten Ausreisesteuer für die deutschen Österreich-Touristen, die den Fremdenverkehr aus Deutschland zum Erliegen gebracht hatte), der österreichische klerikalfaschistische Diktator Schuschnigg verpflichtet sich, zwei nationale Minister in sein Kabinett aufzunehmen. Edmund Glaise-Horstenau wird Minister ohne Geschäftsbereich, Guido Schmidt Staatssekretär für Äußeres.

Für sein Werk wurde Hudal von Hitler ausdrücklich gelobt und er erhielt von ihm das Goldene Parteiabzeichen der NSDAP. Gleichzeitig wurde er aber von Ideologen des Neuheidentums innerhalb der NSDAP der Unterwanderung und Anbiederung verdächtigt, weil er deren Plänen im Wege stand, die Kirchen nach einem gewonnenen Krieg endgültig auszuschalten. Auch innerhalb der österreichischen katholischen Kirche stieß das Buch auf Kritik, nur der Klagenfurter Bischof Hefter äußerte sich positiv, was im deutschnationalen Kärnten keine Überraschung war. Die Druckerlaubnis von Kardinal Innitzer durfte Hudal nicht öffentlich bekannt geben.

 
am Vorblatt wird Hitler gegen Molotow ins Feld geschickt,
gleichzeitig aber Molotows Ansicht indirekt bestätigt ...

Zum Juli-Abkommen zwischen Schuschnigg und Hitler von 1936 (siehe oben) schrieb Bischof Hudal in einem Zeitungsartikel: "Niemals wäre es dem wirklich bodenständigen Österreicher eingefallen, sich als Antipoden deutschen Wesens oder Träger einer antireichsdeutschen Außenpolitik zu betrachten. (..) In diesem Sinne begrüßen wir als überzeugte Katholiken die Versöhnung der Brüder auf politischem Gebiet. Möge den führenden Persönlichkeiten des Nationalsozialismus auch jene andere, nicht minder wichtige und schwierige Verständigung auf religiösem Gebiet mit dem Heiligen Stuhl gelingen!"

Tätigkeit als Fluchthelfer für Naziverbrecher:

Nach dem "Anschluss" und während des Krieges trat Hudal nicht besonders in Erscheinung. Seine Treue zum NS-Regime zeigte er aber intensiv nach Kriegsende. 1944 war Hudal Leiter des vatikanischen Passbüros geworden und hatte dort auch Kontakte zum Flüchtlingsbüro und zur Caritas Internationalis, das Pass- und das Flüchtlingsbüro wurden schließlich zusammengelegt. So konnte Hudal nach Ende des Krieges zum Fluchthelfer avancieren, er bezeichnete dies als "caritativen Akt der Nächstenliebe". Im März 1948 erstellte er ein Merkblatt für Auswanderer mit wichtigen Tipps und Unterstützungsmöglichkeiten durch die katholische Kirche. Hudal stellte die aufgrund von nationalsozialistischen Verbrechen Verfolgten gemeinhin so dar, als seien sie politisch Verfolgte, die "vielfach persönlich ganz schuldlos, nur die ausführenden Organe der Befehle ihnen übergeordneter Stellen und so Sühneopfer für große Fehlentwicklungen des Systems waren". Darüber hinaus betonte Hudal immer wieder den Nutzen der SS-Männer als erfahrene Kämpfer gegen den "antichristlichen Bolschewismus".

Die als Rattenlinie berühmt gewordene Fluchtroute nach Südamerika und in den Nahen Osten wurde von Hudal gemeinsam mit Krunoslav Draganovic geführt. Unterstützung erhielten sie von Seiten des Roten Kreuzes und der Caritas, wie auch von Giuseppe Siri, dem Erzbischof von Genua. Daneben arbeitete Hudal auch eng mit dem deutschen Unterstützerverein Stille Hilfe von Helene Elisabeth Prinzessin von Isenburg zusammen, der sowohl von der evangelischen (Bischof Theophil Wurm), als auch der katholischen Kirche (Weihbischof Johannes Neuhäusler) unterstützt wurde.

Wichtigste Zielländer der Rattenlinie Hudals waren Argentinien, Brasilien, Spanien, Ägypten und Syrien.
Über diese Fluchtroute flüchteten u.a. Adolf Eichmann, Leiter des Judenreferates im RSHA, Franz Stangl KZ-Kommandant von Treblinka, KZ-Arzt Josef Mengele, Ante Pavelic, Führer des faschistischen Kroatien. Zeitweise wurde ihm sogar nachgesagt, er habe Martin Bormann zur Flucht nach Südamerika verholfen, was sich aber als falsch erwies, Bormann ist mit hoher Sicherheit 1945 in Berlin zu Tode gekommen. Vermutet wurde auch, dass Gestapo-Chef Heinrich Müller unter den Geflüchteten gewesen sein könnte, doch das blieb unnachweisbar, Müller gilt seit 1945 als verschollen. Zur Finanzierung der Aktionen konnten Bestände der Pfundfälschungen der Nazis, ("Aktion Bernhard") und Mittel aus dem "SS-Schatz" Verwendung finden. Bis 50.000 Nazis dürften sich mit Hudals und des Vatikan Hilfe einem Zugriff der Alliierten und der Nachkriegsbehörden entzogen haben.


im Frühjahr 2007 wurde in Argentinien Eichmanns falscher Pass aufgefunden,
für ihn hatten die Fluchthelfer einen Südtiroler namens "Riccardo Klement" erfunden

In der in Buenos Aires herausgegebenen deutschen Emigrantenzeitschrift Der Weg, an der geflüchtete NS-Täter mitarbeiteten, schickte Hudal zum Jahreswechsel 1948/49 seine Wünsche: "An meine lieben Landsleute in Argentinien! Viele von Euch kenne ich persönlich. Manchen, vielleicht nicht wenigen, konnte ich in den schwierigsten Wochen ihres Romaufenthaltes helfend zur Seite stehen. (..) Unserem Volke ist in den letzten Jahren viel und großes Unrecht geschehen, auch wenn niemand die Irrtümer, Verfehlungen und Untaten leugnen wolle." Aber schließlich sei es "ein Daseinskampf um Sein oder Nichtsein" gewesen. Hudal bleibt gesinnungstreu und hoffnungsfroh: "Nur wenige Jahre werden vergehen, und die große Revision der deutschen Geschichtsschreibung der letzten 30 Jahre wird beginnen, um auch unserem Volke wieder zu Recht und Gerechtigkeit zu verhelfen."
Die Kenntnisse über diese Vorgänge im Vatikan reichten bis in die höchsten Ebenen europäischer Nachkriegspolitik, vor allem im Bereich der konservativen Parteien Österreichs, Deutschlands und Italiens.
Erst nach massivem politischem Druck trat Hudal 1952 als Rektor des deutschen Priesterkollegs zurück. Die österreichischen Bischöfe hatten ihn zum Rücktritt auffordern müssen, was sie offenbar sehr ungern getan hatten, wie aus einem Schreiben des Grazer Bischofs Pawlikowski hervorgeht: "Uns allen Bischöfen war diese Sache höchst unangenehm und wir hätten sicher einen Weg gefunden, um alles ohne Aufsehen zu ordnen. Wir sind vor den Kopf gestoßen worden, und dem Heiligen Stuhl hat man auch nichts Angenehmes bereitet. Auch Ihr Vorfall zählt zu den Katastrophen, die Österreich getroffen haben."

In seinen postum erschienenen Memoiren lehnte er zwar den Nationalsozialismus in seiner konkreten Ausprägung ab, blieb aber immer noch bei seiner Idee der Verbindung von Christentum und Nationalsozialismus als Idee und bei seinem Antibolschewismus. Zur Fluchthilfe schrieb er: "Alle diese Erfahrungen haben mich schließlich veranlasst, nach 1945 meine ganze karitative Arbeit in erster Linie den früheren Angehörigen des NS und Faschismus, besonders den so genannten "Kriegsverbrechern" zu weihen, die von Kommunisten und "christlichen" Demokraten verfolgt wurden, oft mit Mitteln, deren Methoden sich nur wenig von manchen ihrer Gegner von gestern unterschieden haben; obwohl diese Angeklagten vielfach persönlich ganz schuldlos, nur die ausführenden Organe der Befehle ihnen übergeordneter Stellen und so das Sühneopfer für große Fehlentwicklungen des Systems waren. Hier zu helfen, manchen zu retten, ohne opportunistische und berechnende Rücksichten, selbstlos und tapfer, war in diesen Zeiten die selbstverständliche Forderung eines wahren Christentums, das keinen Talmudhaß, sondern nur Liebe, Güte und Verzeihung kennt und Schlussurteile über die Handlungen der eigentlichen Menschen nicht politischen Parteien, sondern einem ewigen Richter überlässt, der allein die Herzen, Beweggründe und letzten Absichten überprüfen kann.(..) Ich danke aber dem Herrgott, dass Er mir meine Augen geöffnet hat und auch die unverdiente Gabe geschenkt hat, viele Opfer der Nachkriegszeit in Kerkern und Konzentrationslagern besucht und getröstet und nicht wenige mit falschen Ausweispapieren ihren Peinigern durch die Flucht in glücklichere Länder entrissen haben."

Bischof Alois C. Hudal - Träger des Goldenen Parteiabzeichens der NSDAP - ein "Komplize
nach der Tat", der niemals zur Verantwortung gezogen wurde. Bemerkenswerterweise kamen
indessen im Frühjahr 2000 Hudal als negative historische Figur und einer seiner Schützlinge
als entlarvter Mörder im Fernsehen vor: im NDR-Tatort-Krimi "Rattenlinie" mit Manfred Krug!

Siehe auch: Faschismus und Religionen