Zum Themenbereich "Gleichschaltung" und "Deutsche Volksgemeinschaft":
Zunächst einmal brachte der 30. Januar 1933 die Einsetzung eines weiteren Kabinetts in der wechselhaften Geschichte der Weimarer Republik. Doch kaum hatte Hitler seine Kanzlerschaft angetreten, machte er sich rigoros an den Umbau des Staates. Mit einem aus dem Rückblick geradezu atemberaubenden Tempo legten die Nationalsozialisten Hand an Gesellschaft und Staat. Binnen weniger Monate war die Verfassung außer Kraft gesetzt, ohne dass sie eigentlich aufgehoben wurde, die föderative Komponente der Weimarer Demokratie verschwand nahezu ganz, und der in den zwanziger und dreißiger Jahren anzutreffende Pluralismus im sozialen und kulturellen Leben wurde mehr und mehr auf einen linearen Monismus zurückgedrängt. All dies geschah letztlich unter der Prospektion einer neuen, nationalsozialistischen Gesellschaft.
Eine der augenfälligsten Maßnahmen bald nach dem Machtantritt war die so genannte "Gleichschaltung" . Mit dem Ausdruck Gleichschaltung haben die Nationalsozialisten selbst die Aktionen benannt, die eine Ausrichtung von Staat und Gesellschaft auf den Nationalsozialismus und sein Denken sowie seine Inhalte herbeiführen sollten. Deutschland sollte eine Einheit werden - politisch, gesellschaftlich, rassisch. Nationalsozialistische Wertordnungen und Ansprüche sollten von nun an das Leben in Deutschland bestimmen. Darin bestand der krasse Gegensatz zur Weimarer Zeit, wo uneinheitliche Strömungen, das Fehlen eines allgemeingültigen Normensystems und instabile soziale Standards Unsicherheit und Angst genährt hätten. Die Gleichschaltung war der erste Schritt in Richtung auf die Volksgemeinschaft und implizierte gleichzeitig den Aufbau eines verbindlichen sozialen und politischen Wertesystems, an dem viele Zeitgenossen wieder Halt und Orientierung finden konnten.
Allein die Betrachtung der mit der Gleichschaltung verbundenen Vorgänge zeigt, wie tiefgreifend der Einschnitt in das öffentliche und private Leben gewesen war. Nicht zu Unrecht wird dieser Ausdruck auch von den Fachwissenschaftlern gebraucht. Denn der Begriff meint die stufenweise verwirklichte totale Durch- und Verstaatlichung der Gesellschaft ebenso wie die von den Nationalsozialisten auf den Endpunkt getriebene Vergesellschaftung des Staates, durch eine gesellschaftliche Bewegung, eine Partei. Vergesellschaftung des Staates und Verstaatlichung der Gesellschaft werden heute als Voraussetzung einer umfassenden Gleichschaltung im Sinne der Beseitigung individueller und kollektiver Grund-, Menschen- und Bürgerrechte interpretiert. Im Zuge der Gleichschaltung entstand ein totalitärer Staat, wurden mit der Beendigung der Gewaltenteilung Schutzschranken zwischen Staat, Gesellschaft und Individuum aufgehoben, wurde Freiheit im umfassenden Sinn beseitigt.
Gleichschaltung ist also kein rein politischer Begriff, sondern er besitzt unvermeidlicherweise immer auch eine soziale Dimension. "Gleichschaltung" bedeutet stets die Aufhebung unkontrollierter Selbständigkeit. Die Menschen werden dabei aus überlieferten, eigenen, oft besonders engen und intimen Bindungen herausgelöst und einander gleichgemacht. Alle sollten dieselbe Umgebung teilen, die gleichen Institutionen benutzen, von den gleichen Eindrücken geprägt sein, nationalsozialistisch fühlen, denken und handeln.
Deutschland sollte so nationalsozialistisch werden, wie der Nationalsozialismus deutsch war.
Aus heutiger Sicht erscheinen die ergriffenen Maßnahmen radikal und umwälzend. Damals fanden viele nichts dabei, etliche begrüßten es sogar, dass Hitler angetreten war, um, wie er selbst sagte, "Partei um Partei in Deutschland zu vernichten, alle Erscheinungen dieser Zersplitterung zu beseitigen, die Länder aufzuheben, ihre Parlamente auszulöschen, Gewerkschaften niederzubrechen, Unternehmerverbände aufzulösen, kurz und gut, dieses ganze innere Deutschland auf einen einheitlichen Nenner zu bringen".
Diese Absicht zeigte sich bereits in dem Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich vom 31. März 1933. Der Föderalismus als liberalistisches Element musste verschwinden, wobei die Abschaffung der Ländergewalt in mehreren Schritten vollzogen wurde. Zunächst wurden alle Länderparlamente, ungeachtet der regionalen Wahlergebnisse, entsprechend den Stimmverteilungen bei der Reichstagswahl vom 5. März 1933 zusammengesetzt.
Diesem ersten Gleichschaltungsgesetz für die Länder folgte bereits am 7. April 1933 ein zweites. Darin wurde von den Nationalsozialisten mit dem neu geschaffenen "Reichsstatthalter" jedem Land des Deutschen Reiches ein Aufsichts- und Kontrollorgan der Reichsregierung über die jeweiligen Landesregierungen eingesetzt. Mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet, konnte der Reichsstatthalter Mitglieder der Landesregierung entlassen sowie die Landesregierungen und deren Beamte bestellen. Da alle Reichsstatthalter - mit Ausnahme des bayerischen Franz Xaver Ritter von Epp - zugleich Gauleiter der NSDAP und damit Hitler direkt unterstellt waren, verknüpfte sich das Geschehen in den Ländern eng mit der Politik der Nationalsozialisten im ganzen Reich. Zwar erfolgte die Ernennung der zu entsendenden Statthalter letztlich durch den Reichspräsidenten, doch stets auf Vorschlag des Reichskanzlers Hitler, der damit die Landesregierungen vollständig seinem Einfluss unterwarf.
Dieser Zwischenzustand aus föderalistischen Demokratieresten und diktatorischer Zentralgewalt wurde mit dem "Gesetz über den Neubau des Reiches" vom 30. Januar 1934 vollends zugunsten der allumfassenden Volksgemeinschaft entschieden. Mit ihm gingen alle Hoheitsrechte der Länder auf das Reich über. Am 14. Februar 1934 wurden der Reichsrat aufgelöst und die Justizverwaltungen "verreichlicht", das heißt, die regionalen Besonderheiten in Verwaltung und Justiz auf Reichsebene vereinheitlicht und einander angeglichen.
Schneller noch als bei der Gleichschaltung der Länder erreichten die Nationalsozialisten bei den Parteien ihr Ziel. Ab März 1933 wurde die Parteienvielfalt mehr und mehr dezimiert und der Reichstag als Institution schrittweise entmachtet. AM 23. März 1933 hatte der Reichstag mit großer Mehrheit das "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Staat" gebilligt und damit seine eigene Entmachtung beschlossen. Außer der SPD hatten alle Parteien zugestimmt. Das Parlament hatte seine verfassungsmäßigen Befugnisse an Hitler übertragen und damit Selbstmord verübt. «...
Dieses so genannte Ermächtigungsgesetz- räumte der Reichsregierung weitreichende Selbständigkeit, Eigenmächtigkeit und Unabhängigkeit ein. Von nun an konnte sie Gesetze allein beschließen, ohne Debatte und Abstimmung im Reichstag, gegen alle Mehrheiten; sie mussten auch nicht mehr vom Reichspräsidenten ausgefertigt werden, sondern konnten vom Kanzler selbst unterzeichnet werden, wobei dies selbst für außenpolitische Verträge und Entscheidungen galt. Dieser Freibrief für die Hitlerregierung ging sogar so weit, dass künftige Reichsgesetze auch von der Weimarer Verfassung abweichen durften. Seinen Charakter erhielt das Gesetz durch seine klar hervorgehobene Gültigkeit allein für eine nationalsozialistische Regierung. Sie allein wurde "ermächtigt", denn im Falle eines Regierungswechsels sollte es vorzeitig außer Kraft treten. Insofern handelte es sich auch hier um eine auf den Einzelfall bezogene Ausnahmeregelung zugunsten des Maßnahmenstaates, der den Gesetzesstaat abgelöst hatte.
Damit waren die grundlegenden Prinzipien einer Demokratie beseitigt und auch die Macht des Reichspräsidenten beschnitten. Bereits vier Wochen zuvor waren mit der so genannten "Reichstagsbrandverordnung" wichtige Grundrechte außer Kraft gesetzt worden, die die persönliche Freiheit, die Unverletzlichkeit der Wohnung, das Post-, Brief-, Telegraphen- und Fernmeldegeheimnis, die Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie das Recht auf Privateigentum garantiert hatten.
Im Zuge dieser »Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat« begann auch die "Ausmerzung," anderer Parteien aus dem politischen Leben. Die KPD war davon direkt betroffen, denn die Präambel dieser Verordnung richtete sich gezielt gegen sie "zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte". Hintergrund dieses Satzes war der durch eine Brandstiftung verursachte und bis heute noch nicht vollständig geklärte Brand des Berliner Reichstagsgebäudes am 27. Februar 1933. In ihrer Begründung beriefen sich Hitler, Goebbels und Göring auf die kommunistische Parteizugehörigkeit des Täters Marinus van der Lubbe. Indem sie ihn als Rätekommunist einstuften, sahen sie in dessen Brandstiftung den Auftakt zur großen kommunistischen Gegenoffensive, der sie zuvorkommen müssten. Selbst wenn die Täterschaft bis in unsere Tage für reichlich Diskussion gesorgt hat, fest steht, dass dies den Nationalsozialisten gut in ihr Konzept passte und sie die Gelegenheit zum »politischen Saubermachen« nutzten.
Für die KPD bedeutete die neue "Reichstagsbrandverordnung" , dass ab 28. Februar 1933 ihre Parteiarbeit verboten war. Ähnlich erging es der SPD; sie hatte lediglich eine Galgenfrist, ehe sie am 22. Juni 1933 ebenfalls verboten wurde. Die anderen Parteien liefen scharenweise zur NSDAP über oder lösten sich selbst auf. Selbst in unmittelbarer Existenzgefahr haben die Parteien niemals zusammengefunden, nicht einmal zwei oder drei von ihnen. jede ist für sich allein gestorben, und jede starb an einer etwas anderen Krankheit. Gemeinsam ist ihnen allen nur dies: Das parlamentarische System, das ihre gemeinsame Lebensbedingung war, hat keine von ihnen verteidigt; und um die eigene Haut wirklich gekämpft hat ebenfalls keine.
Durch das Gesetz gegen die Neubildung von Parteien vom 14. Juli 1933 und die Auflösung aller alten Parteien existierte seit dem Sommer, also gerade einmal ein halbes fahr nach Hitlers Machtantritt, keine andere Partei mehr als die NSDAP. Am 17. Mai 1933 war der noch pluralistisch gewählte Reichstag zum letzten Mal zusammengetreten. Danach saßen im Reichstag keine Frauen, Sozialisten und Juden mehr, sondern nur noch uniformierte Gefolgsleute. Die einstige rechtsradikale Rand- und Minderheitenpartei NSDAP, die es zur Massenorganisation gebracht hatte, avancierte zur alleinigen Staatspartei, als ihr per Gesetz vom 1. Dezember 1933 die Eigenschaften einer Körperschaft des öffentlichen Rechts und damit ein Rechtstitel zuerkannt wurden und sie damit zur einzigen politischen Willensträgerin des deutschen Volkes aufstieg.
Flankiert wurde die Gleichschaltung des parlamentarischen Parteienstaates von Versuchen, das gemeinsam Nationale als wesentliches und wichtiges Element der Politik aus der Vergangenheit für die nationalsozialistische Ära zu reklamieren. Dazu diente unter anderem der von Joseph Goebbels inszenierte "Tag von Potsdam" am 21. März 1933, für den auch das Datum bewusst gewählt war, denn an diesem Tag hatte Bismarck 1871 den Reichstag des Zweiten Reiches eröffnet.
Die bewusste Pflege des Reichsgedankens und damit der Beweis für eine traditionsbewusste Amtsführung sollte die Nationalsozialisten als Wächter deutscher Geschichte erscheinen lassen. An historischer Stätte, dem Grab Friedrichs des Großen in der Potsdamer Garnisonskirche, trafen der Vertreter der alten Zeit, Reichspräsident von Hindenburg, und die Hoffnung für ein neues Erwachen, Hitler, aufeinander. Ersterer beschwor in seiner Rede den "Geist von Potsdam", der auch das heutige Geschlecht beseelen und von Eigennutz und Parteiengezänk befreien möge. Letzterer bekräftigte diesen Wunsch und sprach von einer Vermählung zwischen den Symbolen der alten Größe und der jungen Kraft zum Nutzen einer nicht näher definierten "Volksgemeinschaft". Diese sollte die bürgerliche Gesellschaft ablösen und eine neue Einheit schaffen. Hindenburg und die Konservativen erhofften sich von diesem symbolträchtigen Tag, dass sie damit die Nationalsozialisten endgültig auf die alte Ordnung verpflichtet hätten, während jene ihn dazu benutzten, weite Kreise für ihre Ziele zu gewinnen. Wie sehr das Deutsche Reich bereits auf die neue Linie zusteuerte, beweist die Tatsache, dass seit dem 12. März neben dem Schwarz-Rot-Gold der Weimarer Demokratie die Hakenkreuzfahne als Reichsflagge zugelassen war. Noch mehr aber zeigt die breite Zustimmung zu dem zwei Tage nach Potsdam verabschiedeten Ermächtigungsgesetz, dass die bisherigen Angehörigen der bürgerlichen Oberschicht eher auf die Linie des Nationalsozialismus eingeschwenkt waren als umgekehrt.
Dieser Trend war wohl im Sommer 1934 endgültig zur Gewissheit geworden. Mit dem Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches vom 1. August 1934 sollten das Amt des Reichspräsidenten und das des Reichskanzlers in einer Person vereinigt werden, sobald der bisherige Präsident von Hindenburg verstorben sei. Tags darauf war er tot, und Hitler wurde nun Führer und Reichskanzler. Unmittelbar darauf wurden Reichswehr und Beamtenschaft auf ihn vereidigt und waren nun zu Treue und Pflichterfüllung gegenüber Hitler und nicht einer Verfassung oder Regierung verpflichtet. Darüber hinaus wurde Hitler Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Seine Person besaß nun Verfassungsrang, dessen Gültigkeit 89,9 Prozent der Wahlberechtigten am 19. August 1934 in einem Volksentscheid bestätigten.
Durch dieses Führer-Gesetz war Hitler zur zentralen, alleinbestimmenden Instanz allen Geschehens geworden. Die Volksgenossen sammelten sich um ihn, orientierten sich an ihm und sahen in ihm ihren einzigen und wahren Vertreter. Der so genannte "Hitler-Gruß" verdrängte zusehends andere Grußformeln und wurde sowohl Amts- als auch Alltagsgruß.
Das Führerprinzip wurde zum gesellschaftspolitischen Gestaltungsgesetz. Die Organisationsstruktur der NSDAP fungierte als Vorbild für den nationalsozialistischen Staat und die Verbände der Nationalsozialisten galten als Beispiel für die neue Volksgemeinschaft. Wie in der Bewegung, sollte jetzt auch das Leben des ganzen Volkes hierarchisch gegliedert und in streng organisierten Bahnen ablaufen.
Dass dabei auch parteieigene Verbände nicht von der Gleichschaltung verschont blieben, wenn sie von der beabsichtigten Linie abwichen, hatte sich bereits vier Wochen vor Hindenburgs Tod gezeigt. In den Reihen der rund 4,5 Millionen SA-Mitglieder, darunter vielen aktiven Kämpfern in unzähligen Saal- und Straßenschlachten, die lange Jahre werbend für die nationalsozialistische Sache unterwegs gewesen waren und sich selbst als die eigentlichen Vertreter der Bewegung verstanden, machte sich Unzufriedenheit mit Hitlers Hinwendung zu den konservativen Kreisen breit. Aus ihrer Sicht stagnierte die nationalsozialistische Revolution. Nebenbei hatten sich viele SA-Leute nach der Machtübernahme Ämter und Belohnungen erhofft, und gerade diese Wünsche sahen die meisten als nur unzureichend erfüllt an. Entscheidend war jedoch ein sich anbahnender Konflikt zwischen Reichswehr und SA um die bewaffnete Vorrangstellung im Reich, den Hitler verhindern wollte, um bei der Bevölkerung nicht erneut das Gefühl der Zersplitterung aufkommen zu lassen. Seine Entscheidung fiel zugunsten der Reichswehr und gegen die SA. In einer Gewaltaktion wurden die SA-Führer und einige andere unliebsame Personen verhaftet und ohne Gerichtsverfahren wegen angeblicher Umsturzabsichten als Hochverräter hingerichtet. Unter den 83 Ermordeten befand sich auch Ernst Röhm, einer der wenigen Duzfreunde Hitlers, dem außerdem, wie manchem der Hingerichteten, seine ausschweifende Homosexualität angelastet wurde.
Hitler, der nun auch die Justiz in seine Hand nahm, präsentierte sich als gnadenloser Racheengel und oberster Gerichtsherr. Nachdem per Gesetz vom 3. Juli 1934 die Ermordungen der vorangegangenen Tage für rechtens erklärt wurden, war klar, dass Hitler alle Bereiche der Staatsgewalt auf sich vereinigte. Dem Volk bewies er damit, dass er rücksichtslos, aber "gerecht", die Sache des Nationalsozialismus, also die Schaffung eines geeinten Volkes in einer Volksgemeinschaft, verteidigte, und sei es auch gegen Feinde aus den eigenen Reihen. Die Bedeutung der SA als gesellschaftliches Vorbild schwand danach merklich und wurde zusehends von einem neuen, elitären Träger der gesellschaftlichen Idealvorstellung verdrängt. Von nun repräsentierte die SS die soziale Führungsschicht des Nationalsozialismus. Deren Angehörige sollten all die neuen Tugenden in sich vereinigen, die einem wahren Leben in einer echten Volksgemeinschaft entspringen.
Gleichzeitig näherte sich Hitler mit der Degradierung der SA der Reichswehr an. Bereits ab 17. Februar 1934 hatte die Hakenkreuzfahne als offizielles Emblem in den Kasernen Einzug gehalten und die letzte Bastion der untergehenden Gesellschaftsordnung infiziert. Die "Röhm-Affäre" - die Reichswehrführung lobte das beherzte Vorgehen Hitlers und dankte ihm für sein schnelles Eingreifen - und wenige Wochen später Hindenburgs Tod verknüpften die Reichswehr immer mehr mit dem Nationalsozialismus und dessen "Führer und Reichskanzler" . Mit der Ämterpatronage Hitlers, dem zustimmenden Plebiszit des Volkes mit 38 Millionen gegen 4,7 Millionen Stimmen und der Vereidigung der Soldaten auf Hitler war auch dieser Sektor gleichgeschaltet. Aus der Reichswehr wurde jetzt die Wehrmacht unter dem Oberbefehl des Führers. Zu dem im selben Jahr abgehaltenen Parteitag der NSDAP kam deshalb erstmals auch die Wehrmacht, die damit gleichsam dessen Motto "Triumph des Willens" bekräftigte. Beim Abschluss der Feierlichkeiten huldigten die soldatischen Vertreter dem neuen System und seinem Führer, und Hitler triumphierte: "Wenn heute zum ersten Mal die Reichswehr Teilnehmer an diesen Festtagen geworden ist, ein ganzer Tag, der Montag, ist ihren militärischen Vorführungen gewidmet, so ist dies ein Symbol dafür, dass die Bewegung und der Staat zu einer Einheit verschmolzen sind."
Damit war ein gewichtiges Kapitel gesellschaftspolitischer Veränderungen abgeschlossen: Die Parteien waren aufgelöst oder hatten dies selbst besorgt, der Parlamentarismus hatte ebenso wie der Föderalismus ausgespielt, die Gewerkschaften waren seit dem Mai 1933 zerschlagen, die Reichswehr zog nun am gleichen Strang wie die Nationalsozialisten, die innergesellschaftlichen Kämpfe waren beigelegt, und die Beschäftigten im öffentlichen Dienst waren durch das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" seit dem 7. April 1933 auf die neue Linie eingeschworen.
Lediglich die Kirchen als letzte Reste eigenständiger Organisation und Sinngebung hatten sich der nationalsozialistischen Beeinflussung noch nicht völlig ausgeliefert. Zwar hatten die Deutschen Christen, die völkischen Vertreter in der evangelischen Kirche, schon im April 1933 eine Umgestaltung des religiösen Lebens gefordert: "Erst die Gleichschaltung von Staat und Kirche kann die unerhörte Kraftsteigerung hervorbringen, deren die Nation zur Erreichung ihrer Ziele bedarf. Der Staat braucht die Kirche, denn sie ist das stärkste Mittel einer sittlichen und gesunden Volkserziehung." Als "neue SA Gottes" oder auch "fünfte Kolonne des Nationalsozialismus", wie sie sich selbst bezeichneten, strebten die Deutschen Christen eine einheitliche und starke Deutsche Nationalkirche an. Doch Hitler und seine Genossen zielten kaum auf eine Einbindung der Kirchen ab. Weder die evangelische noch die katholische Kirche sollte in der einst vollendeten Volksgemeinschaft eine Rolle spielen, auch wenn das Reichskonkordat VOM 20. Juli 1933 zwischen Drittem Reich und Vatikan kirchen- und außenpolitisch zunächst als großer Erfolg gefeiert wurde. Ob pronationalistisch oder nicht, die Kirchen und ihre gesellschaftliche Bedeutung als Gestaltungs- und orientierungsweisende Kraft waren in den Augen Hitlers auf Dauer eine zu starke Konkurrenz zur Volksgemeinschaft und deren Anspruch auf den ganzen Menschen. Selbst die im Reichskonkordat vereinbarte neue Eidesformel für Bischöfe "Vor Gott und auf die heiligen Evangelien schwöre und verspreche ich, so wie es einem Bischof geziemt, dem Deutschen Reich und dem Lande Treue" - oder das von 50.000 Teilnehmern des Katholikentages am 24. Juni 1934 in Berlin per Grusstelegramm an Hitler abgelegte "Gelöbnis treuester Arbeit für Volk und Vaterland" konnten die Existenz der Kirchen innerhalb der nationalsozialistischen Gesellschaft lediglich kurzfristig sichern.
Vielmehr planten die Nationalsozialisten auf längere Sicht die Eliminierung alles Kirchlichen aus dem öffentlichen Leben. Eine kirchliche Gemeinschaft, die alle Berufs- und Bevölkerungskreise, alle regionalen und politischen Unterschiede überbrückt, konnten die Nationalsozialisten nicht bestehen lassen. Eine umgreifende und das Leben so vieler Menschen vereinigende Religionsgemeinschaft, gleich ob evangelischer oder katholischer Konfession, bedeutete für die Volksgemeinschaft, die alles soziale Leben in totaler Weise bestimmen wollte, eine Herausforderung. Schon am 7.Juli 1935 forderte deshalb der Reichsinnenminister Wilhelm Frick die Entkonfessionalisierung des gesamten öffentlichen Lebens.
Überhaupt ging es den Nationalsozialisten nicht deshalb um die Ausschaltung bestimmter Gruppen, Verbände oder Verbindungen, weil diese sich nicht anpassten oder gleichschalten ließen. Vielmehr verfolgten sie mit dem Konzept der Volksgemeinschaft eine Durchdringung sämtlicher Lebensbereiche mit der von ihr allein monopolisierten Gestaltungsidee vom starken und geeinten, in seiner Lebensfähigkeit gesicherten Volk. Folglich trachteten die Nationalsozialisten danach, alle traditionellen Bindungen aufzubrechen und durch neue Bindungen an Volk und Führer zu ersetzen. Regionale, konfessionelle, schicht- und klassenmäßige oder familiäre Zugehörigkeiten und die daraus erwachsenden Sicherheiten und Orientierungspunkte mussten weichen, weil sie einer Ausrichtung nach dem neuen Gesellschaftsmodell zuwiderliefen. Da für alle nur noch das nationalsozialistische Wert- und Weltsystem Gültigkeit besitzen sollte, mussten alle sozialen Unterschiede der alten bürgerlichen Gesellschaft ausgelöscht, innergesellschaftliche Spannungen und Konflikte vermieden oder für das Ganze nutzbringend umgesetzt werden. Die Ausschaltung der Parteien, die Zerschlagung der Gewerkschaften, der Röhmputsch und der Kirchenkampf haben diese Bereinigung der Weimarer Verhältnisse drastisch vor Augen geführt.
Hitler und sein nationalsozialistisches Gesellschaftskonzept legten nun fest, welche Bedeutung den verbliebenen oder neu entstandenen sozialen Gruppierungen innerhalb der Volksgemeinschaft zukommen sollte, wie sie sich einzufügen und worauf sie sich auszurichten hatten, wenn sie gleichgeschaltet oder angepasst weiterbestehen wollten. Vor allem aber sollte das gesamte soziale Leben von der neuen Ordnung geprägt sein. Der Nationalsozialismus und seine Volksgemeinschaftsidee sollten die Menschen unaufhaltsam und ständig begleiten; vom Aufstehen des Volksgenossen bis zum Schlafengehen sollte er sich in einer nationalsozialistischen Welt bewegen, die ihm ihre Wertungen und Verhaltensnormen aufzeigte, nötigenfalls auch aufzwingen sollte. Der Vorgang der Gleichschaltung war ein bedeutsamer Schritt auf die monomanische Strukturierung des Lebens zu. Deshalb durften keine Vereinigungen bestehen bleiben, in denen sich Menschen treffen konnten, ohne nationalistischer Beeinflussung unterworfen zu sein.
Die Vorgehensweise bei der Gleichschaltung reichte von der direkten Eingliederung von Verbänden und Vereinigungen in nationalsozialistische Organisationen bis zu deren Infiltrierung. Mit Hilfe des Berufsbeamtengesetzes und des darin enthaltenen "Arierparagraphen" übten die Nationalsozialisten ihren Zugriff auch auf den noch so kleinen Sportverein aus und erzwangen eine Umbildung der Vorstände und Gremien. Unliebsame und rassisch ungeeignete Mitglieder wurden ausgestoßen oder zum Austritt genötigt, Nationalsozialisten übernahmen Positionen in den Entscheidungszentren der Gruppierungen. Rücksichtslose Säuberungsaktionen und Umgestaltungen der Verbände nach nationalsozialistischen Richtlinien führten diese letztlich der braunen Bewegung und ihrer Zielsetzung zu. Öffentliches Verbandsleben, das nicht von Nationalsozialisten beherrscht und beeinflusst wurde, wurde zur Ausnahme, denn der Einfluss auf die Bevölkerung mit nationalsozialistischem Gedankengut, mit seinen Parolen, Fahnen und Uniformen nahm immer mehr zu. jeder war davon betroffen, war irgendwo registriert, musste Anträge über nationalsozialistische Amtsstellen laufen lassen und nahezu jeder war Mitglied in zumindest einer von dem neuen Geist gelenkten Gruppe. Kein Sportfest, über dem nicht die Hakenkreuzfahne geweht hätte, kein Trachtenfest, das nicht im Geiste des erneuerten Deutschland stand. Überall waren Abordnungen von Partei-, SA- oder SS-Leuten mit ihren Emblemen zugegen, ob in Gaststätten, Kinos oder in den Betrieben.
Das Ziel aller gesellschaftlichen Aktivitäten war allgegenwärtig: die Volksgemeinschaft. Mit zunehmender Gleichschaltung der "alten Gesellschaft", legten die Nationalsozialisten einen massiven Grundstein für ihr gemeinschaftlich ausgelegtes Gesellschaftsgebäude. Alles, was dieser Gemeinschaft abträglich sein könnte, wird als desintegrierender Faktor betrachtet, jede Gruppe, die sich zu anderen Werten als der Volksgemeinschaft bekennt, stellt eine solche Gefahr dar. Wird die Volksgemeinschaft zum Fetisch erhoben, so folgt daraus die Ablehnung aller Gemeinschaften, die sich auf andere Werte als die Volksgemeinschaft gründen. Die Methode dafür war klar: Gleichschalten oder Ausschalten? In nicht einmal zwei Jahren hatten die Nationalsozialisten Deutschland von Grund auf verändert. Die Struktur und das Erscheinungsbild der nach 1933 weiterbestehenden Organisationen und Verbände sowie der Staatsapparat an sich signalisierten stets und überall ihre Verbundenheit innerhalb des Ganzen einer Volksgemeinschaft. Jede soziale Gruppe wurde im Zusammenhang mit der ideologischen Mobilisierung und der industriellen Erholung fast über Nacht zu einem Teil des neuen Systems.
Ohne
die Selbstgleichschaltung und Selbstauflösung mancher Verbände und Parteien
hätte sich die Linearisierung des öffentlichen Lebens nicht so schnell und unproblematisch
vollzogen. Gerade diese Widerstandslosigkeit und Mühelosigkeit des Vorgehens
beweist, dass die Nationalsozialisten nur gleichschalten konnten, weil in weiten
Teilen der Bevölkerung die Bereitschaft zur gesellschaftlichen und politischen
Gleichschaltung weit verbreitet war. Der Reichslandbund als Organisation für
den bäuerlichen Sektor beugte sich der Gleichschaltung ebenso willig wie Sport-
und Freizeitvereine, Wirtschaftsverbände oder Standesorganisationen.
Hier profitierten
die Nationalsozialisten von einer Einstellung, die längst vor 1933 angelegt
worden war. Ganze Generationen von Universitätslehrern, schriftstellernden Pseudopropheten
und vaterländischen Vereinsvorsitzenden haben mitgewirkt, jene Atmosphäre zu
schaffen, in der die herrschende Vernunftfeindschaft, die Verrohung des Lebens,
die Korrumpierung sittlicher Maßstäbe nur noch der besonderen politischen Zuspitzungen
und des mitreißenden Wortführers bedurften, um ihre zerstörerische Gewalt zu
entfalten.
Die Auflösung gewohnter Milieus im Zuge der industriellen Entwicklung und der besonderen Situation nach dem Ersten Weltkrieg hatte bei vielen das Gefühl der Orientierungs- und Heimatlosigkeit erzeugt. Hier boten die Nationalsozialisten dem einzelnen mit ihrem sozialen Gefüge der Volksgemeinschaft eine Lösung an. Die durch die Zerstörung alter Bindungen an beispielsweise Religionsgemeinschaften und Familie entstandene Isolierung des einzelnen wurde durch das Gefühl, einer privilegierten Schicht, einer Elite, einer Volks- und Rassegemeinschaft anzugehören, überdeckt. Deshalb auch die Bestrebungen der Nationalsozialisten, die Menschen, wo und wie es nur ging, aus ihren angestammten Lebenslagen zu reißen, sie in Lager zu stecken, zu schulen und umzuerziehen. Auflösung des Alten und Einübung des Neuen, so könnte man die Pädagogik des Nationalsozialismus zusammenfassend bezeichnen.
Ihre Maximen waren die Einheit des Volkes und die Zusammengehörigkeit in der Volksgemeinschaft. Ein Volk - ein Reich - ein Führer, hieß es, eine Rasse, eine Geschichte, ein Schicksal. Ausdruck des Strebens nach Einheitlichkeit war der Wille zur Gleichschaltung: zur Gleichschaltung des Bewusstseins, der Gesellschaft, des Staates. Dies gelang, weil die braune Bewegung sich als ein in sich schlüssiges, ganzheitliches und starkes System der Lebensbewältigung präsentierte. Die nationalsozialistischen Organisationen gaben vor, die gesamte Welt, die gesamte Gesellschaft zu repräsentieren, um so den Eindruck zu erwecken, dass man gleichsam komplett sei, das heißt alle Elemente der Gesellschaft in den eigenen Reihen habe.
Über den Staatsbereich hinaus waren die Parteiabteilungen so angelegt, dass weite Bereiche des Lebens von ihnen abgedeckt waren. Die im Schoße der nicht-totalitären Gesellschaft gebildete totalitäre Gegengesellschaft war so genau dem Modell der Wirklichkeit nachgebildet, dass es nicht eine Berufs- oder Standesgruppe in Deutschland gab, die nicht von einem Tag zum andern übernommen und gleichgeschaltet werden konnte. Erziehung, Kultur, Sport oder Alltag - überall verwischte die nationalsozialistische Ausdehnung zusehends jegliche Grenze zwischen der Welt des Nationalsozialismus und dem Leben in anderen Gestaltungsräumen. So gelang die restlose Vereinnahmung der Menschen durch die Massenpartei NSDAP, ohne dass die Bevölkerung in großer Zahl Mitglied werden musste. Wichtig war, möglichst jeden einzelnen in die nationalsozialistische Volksgemeinschaft eingehen zu lassen und ihn in ihr zu halten.
Das System der nationalsozialistischen Durchdringung des Lebens war nahezu perfekt und von einer hinterhältigen Wirksamkeit. Denn selbst wer sich zu entziehen suchte, wer in die "innere Emigration" ging, verstummte und sich in einen harmlosen Brotberuf verkroch, konnte sich auf die Dauer nicht verhehlen, dass er, wie widerwillig und wie indirekt auch immer, mitmachte. Alles, auch das Harmloseste, diente ja irgendwie dem Regime, das sich nun einmal ganz Deutschlands bis in den letzten Winkel bemächtigt hatte. Und dies galt nicht nur für exponierte Stellungen und Personen. Nach dem Sommer 34 gab es kaum einen Deutschen mehr, der nicht auf dem Umweg über seinen Beruf, seine Stellung oder seinen Verein in irgendeiner Weise mit der Partei verbunden war. Jeder Bereich des gesellschaftlichen Lebens trug, zumindest symbolisch, die Hakenkreuzfahne.
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(Franz Janka, Die braune Gesellschaft - ein Volk wird formatiert, Quell Verlag Stuttgart 1997, gekürzt aus dem 1. Kapitel des 3.Teiles , Vom gesellschaftlichen Pluralismus zum gemeinschaftlichen Singularismus, Seite 219-239)