1938 jubelte die Mehrheit der Österreicher Hitler zu. Aber nicht nur. Gegen das NS-Regime gab es organisierten Widerstand: Angefangen von Flüsterpropaganda, Wandparolen und Flugblättern bis zum militärischen Widerstand in bewaffneten Kampfgruppen. Der größte Teil des von den NS-Behörden verfolgten Widerstandes war aber das, was Bruno Frei in einem 1978 im Sensen-Verlag erschienenen Buch
genannt hatte. Spontane "defaitistische" Äußerungen, Witze, Führerbeleidigungen. Die Strafen bewegten sich vorerst im Rahmen des "Heimtückegesetzes", mit der Fortdauer des Krieges kam immer mehr die "Wehrkraftzersetzung" ins Spiel.
Im Heimtückegesetz vom 20.12.1934 hieß es: "Art.I § 1 Wer vorsätzlich eine unwahre oder gröblich entstellte Behauptung tatsächlicher Art aufstellt oder verbreitet, die geeignet ist, das Wohl des Reiches oder das der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei oder ihrer Gliederungen zu schädigen, wird (...) wenn er die Behauptung öffentlich aufstellt oder verbreitet, mit Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. § 2 Wer öffentlich gehässige, hetzerische oder von niedriger Gesinnung zeugende Äußerungen über leitende Persönlichkeiten des Staates oder der NSDAP, über ihre Anordnungen, oder über die von ihnen geschaffenen Einrichtungen macht, die geeignet sind, das Vertrauen des Volkes zur politischen Führung zu untergraben, wird mit Gefängnis bestraft.
Zur Wehrkraftzersetzung hieß es in der Verordnung über das Sonderstrafrecht im Kriege und bei besonderem Einsatz vom 17.8.1938: "Wegen Zersetzung der Wehrkraft wird mit dem Tode bestraft (1) wer öffentlich dazu auffordert oder anreizt, die Erfüllung der Dienstpflicht in der deutschen oder einer verbündeten Wehrmacht zu verweigern oder sonst öffentlich den Willen des deutschen oder verbündeten Volkes zur wehrhaften Selbstbehauptung zu lähmen oder zu zersetzen sucht. (2) In minder schweren Fällen kann auf Zuchthaus oder Gefängnis erkannt werden".
Auch "Rundfunkverbrechen" waren strafbar, Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen vom 1.9.1939: "§ 1 Das absichtliche Abhören ausländischer Sender ist verboten. Zuwiderhandelnde werden mit Zuchthaus bestraft. In leichteren Fällen kann auf Gefängnis erkannt werden. Die benutzten Empfangsanlagen werden eingezogen. § 2 Wer Nachrichten ausländischer Sender, die geeignet sind, die Widerstandskraft des deutschen Volkes zu gefährden, vorsätzlich abhört, wird mit Zuchthaus, in besonders schweren Fällen mit dem Tode bestraft".
Beispiele aus dem o.a. Buch: Führerbeschimpfungen: ein im Wirtshaus geäußerter "Höllenhurenhund" bringt sieben Monate, ein "Lügner" 12 Monate, das Götz-Zitat ebenfalls 12 Monate, ein "Massenmörder" 15 Monate, ein "Verbrecher" 16 Monate, ein "Kriegshetzer" 18 Monate, ein "Verräter" und ein "Bauchredner" bringen zwei Jahre, eine "Gottesgeißel" ergibt gleich vier Jahre Haft. Wobei es wohl auch darauf angekommen ist, wann und wo und wie die Äußerungen getan wurden und vor welchem Richter man landete. Aber noch 1944 kommt ein Pharmazeut, der Hitler "nicht einmal anspucken" will mit drei Jahren Zuchthaus davon. Für die Aussage, "in Köln schmeißen sie schon die Führerbilder hinaus", gibt es 1945 vier Jahre Zuchthaus.
Der Hitler-Gruß ist eine der Möglichkeiten, die Gesinnungstreue zu testen, "Heil-Hitler"-Verweigerer sind sich öffentlich bekennende Regimegegner, Bruno Frei nennt deshalb den Hitlergruß "Unterwerfung unter den Gesslerhut". Einer, der spottet, den Hitler müsse wegen des ständigen "Heil Hitler" den "ganzen Tag der Schnackerl stoßen", erhält dafür vier Monate Gefängnis. Ein Spottgedicht wird in der "Ostmark" sehr populär: Der Bauer in seiner Not sagt wieder Grüß Gott - die Frauen mit ihren Sorgen sagen wieder Guten Morgen - der Arbeiter mit seiner Plag sagt wieder Guten Tag - nur der Profitler schreit Heil Hitler - der Mann mit Courage sagt Leckt Mich Am Arsch.
Die Verfolgung der Juden ruft vereinzelt auch Empörung hervor, die natürlich bestraft wird: "Eine Schande, wie man die Juden behandelt" (acht Monate), die Frage, wem man die Schuld in die Schuhe schieben werde, wenn es keine Juden mehr gebe, bringt zehn Monate, die Feststellung, Hitler könne nichts anderes als auf die Juden zu schimpfen, zwölf Monate. Zwei Jahre erhält einer, der die Kennzeichnung der Juden mit dem gelben Stern kritisiert. Der Äußerung: "Mir sind die Juden beim Arsch lieber als die Nazis beim Kopf" folgen 18 Monate.
Die christlichen Kirchen sind offiziell irgendwo zwischen Mitmarschieren und Anpassung. Einzelne Pfarrer riskieren aber trotzdem eigene Meinungsäußerungen. So wird eine Weihnachtspredigt, die im Krieg den "Frieden auf Erden" beschwört und Hitler kritisiert, der Anlass für zwölf Monate Haft, Begründung: "Gefährdung des öffentlichen Friedens". Ein anderer Pfarrer meint, früher habe man Burgen gebaut, jetzt baue man Luftschutzkeller, was die Oberen anschafften, sei der Krieg, man werde "noch von den Steinen abbeißen müssen": 18 Monate. Ebenfalls 18 Monate erhält ein anderer Pfarrer, der einer Frau zum Tode ihres Sohnes im Kriege schreibt: "Wie viele sind schon dem verdammten Ehrgeiz dieses einen Mannes geopfert worden".
Partei- und Staatssymbole zu entehren, ist kostspielig (Geldstrafe, weil Hakenkreuzfahnen zum Vogelverscheuchen im Winde flatterten), die Reichsdeutschen als "Piefke" zu titulieren, kann acht Monate hinter Gittern bedeuten, wenn man den "Piefkes" auch noch vorhält, sie kämen, um "uns die Hendln wegzufressen", steigt die Strafe auf zwölf Monate. Den Nazis ihre Untaten vorzuhalten, bringt einen ebenfalls vor Gericht: Die SS sei in Polen in Blut gewatet: zwei Jahre.
Populär waren viele Reime, wie die Variante des Horst-Wessel-Liedes: "Die Preise hoch, die Läden fest geschlossen - der Magen kracht, bei jedem Schritt und Tritt - Kameraden Göring, Goebbels und andere Volksgenossen - hungern nur im Geiste mit uns mit", die Weiterverbreitung brachte zehn Monate Haft ein. "Ein Volk ohne Butter - das Schwein ohne Futter - der Hitler ohne Frau - der Selcher ohne Sau - das nennt man einen Gau" oder "Wien ohne Wein - St. Marx ohne Schwein - Schwechat ohne Bier - Führer, wir danken dir" oder die Feststellung "Lieber einen Kaiser von Gottes Gnaden als einen Narren von Berchtesgaden", - "Herr mach mich stumm, dass ich nicht nach Dachau kumm - Lieber Gott mach mich taub, dass ich an die Nazis glaub - Lieber Herrgott mach mich blind, damit ich alles herrlich find", brachten bis zu 18 Monaten Haft ein. Flüsterwitze gab es zahllose, z.B. "Göring marschiert nackt auf der Straße: Die Leute sollen sehen, dass es noch Fett und Eier gibt" - "Wer wird gerettet, wenn Hitler mit einem Schiff untergeht? - Deutschland" - "Ein Berliner wundert sich über die Luft in Wien, die weit besser ist als in Berlin - kein Wunder, die Wiener müssen mit jedem Schas nach Berlin rennen" - Ein als Zeitungsinserat formulierter Witz macht sich über NS-Ideologie und NS-Sprache lustig: "Deutsche Frau, erbgesund, blutsauber und artrein mit perlendem Weibtum, geschlechtserschlossen, gebärfreudig, sucht passenden Partner zum Werken an Deutschlands Zukunft".
Während des Krieges wird der "Kleine Widerstand" gefährlicher, "zersetzende Äußerungen" können nach dem § für Wehrkraftzersetzung auch mit dem Tode bestraft werden. Eine Frau, die hofft, Hitler werde vor Moskau "Dresche" erhalten, kommt noch mit zehn Monaten davon, eine Waldviertler Bäuerin fasst zusammen: "Die Helden sind gefallen, die Gescheiten sind daheim und die Dummen wissen nicht, wie sie aufhören sollen" (acht Monate), eine Frau, die den "freiwilligen Kriegseinsatz" anderer Frauen als kriegsverlängernd kritisiert, bekommt zwei Jahre, das Gerücht, in sowjetischer Gefangenschaft würden Österreicher bessert behandelt als "die Preußen" bringt zehn Monate, das "fortgesetzte Abhören von Auslandsendern und Verbreitung der von diesen gebrachten Nachrichten", kann aber auch das Todesurteil bedeuten. Mit zunehmender Kriegsdauer steigt der "Defaitismus": "Wenn wir den Krieg verlieren, haben wir ihn gewonnen" - "Kein Volk, kein Reich, kein Führer". Das Bekenntnis zu einem eigenständigen Österreich verbreitet sich und bringt Strafen, denn schließlich ist ein solches Bekenntnis Hochverrat: Man will einen Teil des Großdeutschen Reiches abtrennen ...
(siehe auch: Witze im Dritten Reich)
Ein Kapitel aus dem Buch von Bruno Frei:
IM EISENBAHNABTEIL
Um uns ein Bild zu machen von der Tiefenwirkung der defaitistischen Argumente, setzen wir uns am 2. April 1944 in ein Abteil des D-Zuges, der um 8 Uhr 30 vom Südbahnhof nach Wiener Neustadt abfährt. In dem Abteil sitzen der "Studienassessor" Dr. Emmerich F. und die Operationsschwester Therese N., ferner haben Platz genommen: der 1902 geborene Metallarbeiter Franz Ratusky und die 1918 geborene Hausgehilfin Ursula Kohl, beide aus Wien.
Das übliche Eisenbahngespräch über Zeitereignisse nimmt einen Verlauf, den die Anklage mit dem Ausdruck "defaitistisch" zuchthausreif macht. Wir zitieren: "So sagte Ratusky, die Russen stünden schon 30 km vor der Grenze, aber das sei nicht so schlimm, er sei selbst in Russland gewesen und habe gesehen, dass es dort die Arbeiter nicht schlecht hätten ... Die Angeklagte Kohl pflichtete nicht nur den Worten Ratuskys bei, sondern äußerte auch ihrerseits, die Russen würden in einigen Wochen schon bei uns sein, und wenn erst die Amerikaner kämen, sei es ganz aus. Im Übrigen sei es richtig, dass die Russen nicht so schlecht und grausam seien, wie sie von den Deutschen hingestellt werden; sie habe noch nie gehört, dass die Russen gemordet hätten. Aber von den Deutschen erzähle man, dass sie die Franzosen nur so hingemordet hätten. Der Nichtangriffspakt mit Deutschland sei von den Russen nie ernst genommen worden, weil sie von vornherein gewusst hätten, dass Deutschland diesen Vertrag nicht einhalten werde. Die russische Führung sei ja nicht so dumm gewesen, wie die anderen Länder, sondern hätte gerüstet, was man ja heute sehen könne. - Der Führer hätte selbst in seinem Buch "Mein Kampf" geschrieben, dass man nur durch die Lüge zur Macht komme. Nun pflichtete wieder Ratusky ihr bei und sagte, der Krieg sei nicht mehr zu gewinnen, man habe die Russen als dumm hingestellt, sehe aber nun den Erfolg. Die Kohl setzte fort und sagte ... nur unsere Führung habe den Krieg gewollt, diese wolle die Vernichtung ganzer Nationen. Den Anschluss 1938 hätten die Österreicher nicht gewollt, die Deutschen seien einfach einmarschiert. Die Deutschen liebten überhaupt den Krieg, es sei schon immer in der Geschichte so gewesen, dass die Deutschen angegriffen hätten. Wenn Deutschland siegen sollte, dann würde es die anderen Länder tyrannisieren und ausbeuten. So hätten die deutschen Soldaten, insbesondere die Offiziere, Frankreich ausgeplündert, nichts bezahlt, nur gestohlen und geraubt .... Sie fügte dann noch hinzu, Göring habe zwar gesagt, dass kein feindliches Flugzeug über das Deutsche Reich kommen werde, aber was sei daraus geworden? So gehe es mit allen Versprechungen, die die Führung mache ... Ratusky sagte noch, seine Fabrik sei von Wiener Neustadt ins Protektorat verlegt worden, sie sei aber durch Sabotage von Ukrainern mitsamt den Arbeitern in die Luft geflogen. Die Juden seien von uns beraubt worden; an allem sei angeblich der Jude schuld, man schiebe ihm einfach alles in die Schuhe, wahrscheinlich auch das Wetter."
Diese schlüssige Beweiskette gegen Goebbels ist nicht einer kommunistischen Broschüre entnommen, sondern dem Urteil des Oberlandesgerichts Wien 8 OjS 378/44 vom 15. September 1944, 6 Jahre Zuchthaus für Ratusky, 8 Jahre für Ursula Kohl.
Man kennt die Motive der tollkühnen Reisenden nicht. In der Hauptverhandlung bestritten sie, die inkriminierten Reden gehalten zu haben, doch ein Mitreisender hatte sich Notizen gemacht. Sahen sie die Folgen, ihrer Handlung nicht voraus - oder haben sie im Gegenteil mit Vorbedacht die Argumente gegen den Krieg, die die Kommunisten nicht müde wurden, ins Land zu schleusen, verbreitet, wissend, der Zusammenbruch sei da, der Tiger bereits zahnlos?
Zum Widerstand gegen
den Nationalsozialismus müsste wesentlich mehr geschrieben werden als in der
hier vorgelegten Chronik des Dritten Reiches - da für eine Chronik der
Schwerpunkt auf der chronologischen Schilderung der gesamtgeschichtlich entscheidenden
Ereignisse gelegt werden muss, kann auch der Widerstand eher nur summarisch erfasst
und an wenigen Einzelbeispielen geschildert werden.
Das hier folgend mit Vorder-
und Rückseite abgebildete Flugblatt dürfte eher aus einer alliierten Propagandaquelle
stammen - solch aufwändige Flugblätter konnten Widerstandsgruppen kaum herstellen: