Aus der Ansprache Hitlers vor den Oberbefehlshabern der Wehrmacht am 22. August 1939 - er erläutert seine Sicht der Lage und seine Handlungsmotive. Da es vor dem engen Kreis der Oberbefehlshaber nicht notwendig war, eine Propagangaschau abzuziehen, kann angenommen werden, dass das Geäußerte tatsächlich und ungeschminkt dem Denken des "Führers" entsprach, Hitler war sich bewusst, dass seine Politik bisher ein Hasardieren gewesen war und er bekannte sich dazu, dieses Vabanquespiel fortzusetzen:
Ich habe sie zusammengerufen, um Ihnen ein Bild der politischen Lage zu geben,
damit Sie Einblick tun in die einzelnen Elemente, auf die sich mein Entschluss
zu handeln aufbaut und um Ihr Vertrauen zu stärken. Danach werden wir militärische
Einzelheiten besprechen.
Es war mir klar, dass es früher oder später zu einer
Auseinandersetzung mit Polen kommen musste. Ich fasste den Entschluss bereits
im Frühjahr, dachte aber, dass ich mich zunächst in einigen Jahren gegen den
Westen wenden würde, und dann erst gegen den Osten. Aber die Zeitfolge lässt
sich nicht festlegen. Man darf auch vor bedrohlichen Lagen nicht die Augen schließen.
Ich wollte zunächst mit Polen ein tragbares Verhältnis herstellen, um zunächst
gegen den Westen zu kämpfen. Dieser mir sympathische Plan war aber nicht durchführbar,
da sich Wesentliches geändert hatte. Es wurde mir klar, dass bei einer Auseinandersetzung
mit dem Westen Polen uns angreifen würde. Polen strebt den Zugang zum Meer an.
Nach der Besetzung des Memelgebietes zeigt sich die weitere Entwicklung, und
es wurde mir klar, dass unter Umständen eine Auseinandersetzung mit Polen zu
einem ungünstigen Zeitpunkt kommen könnte. Als Gründe für diese Überlegung führe
ich an:
Zunächst zwei persönliche Bedingungen:
Meine eigene Persönlichkeit und
die Mussolinis. Wesentlich hängt es von mir ab, von meinem Dasein, wegen meiner
politischen Fähigkeit. Dann die Tatsache, dass wohl niemand wieder, so wie ich,
das Vertrauen des ganzen deutschen Volkes hat. In der Zukunft wird es wohl niemals
wieder einen Mann geben, der mehr Autorität hat als ich. Mein Dasein ist also
ein großer Wert-Faktor. Ich kann aber jederzeit von einem Verbrecher, von einem
Idioten beseitigt werden.
Der zweite persönliche Faktor ist der Duce. Auch
sein Dasein ist entscheidend. Wenn ihm etwas zustößt, wird die Bündnistreue
Italiens nicht mehr sicher sein. Die Grundeinstellung des italienischen Hofes
ist gegen den Duce. Vor allem sieht der Hof in der Erweiterung des Imperiums
eine Belastung. Der Duce ist der nervenstärkste Mann in Italien.
Der dritte
persönliche für uns günstige Faktor ist Franco. Wir können von Spanien nur wohlwollende
Neutralität verlangen. Aber das hängt von der Persönlichkeit Francos ab. Er
garantiert eine gewisse Einheitlichkeit und Stetigkeit des jetzigen Systems
in Spanien. Wir müssen in Kauf nehmen, dass es in Spanien noch keine faschistische
Partei von unserer inneren Geschlossenheit gibt.
Auf der Gegenseite ein negatives Bild, soweit es die maßgebenden Persönlichkeiten
betrifft. In England und Frankreich gibt es keine Persönlichkeiten von Format.
Bei uns ist das Fassen von Entschlüssen leicht. Wir haben nichts zu verlieren,
nur zu gewinnen. Unsere wirtschaftliche Lage ist infolge unserer Einschränkungen
so, dass wir nur noch wenige Jahre durchhalten können. Göring kann das bestätigen.
Uns bleibt nichts anderes übrig, wir müssen handeln. Unsere Gegner riskieren
viel und können nur wenig gewinnen. Der Einsatz Englands in einem Krieg ist
unfassbar groß. Unsere Gegner haben Führer, die unter dem Durchschnitt stehen.
Keine Persönlichkeiten, keine Herren, keine Tatmenschen.
Neben den persönlichen
Faktoren ist die politische Lage für uns günstig. Im Mittelmeer Rivalität zwischen
Italien und Frankreich und England. In Ostasien Spannungen zwischen Japan und
England, im Orient Spannungen, die zur Alarmierung der mohammedanischen Welt
führt.
Das englische Empire ist schon aus dem letzten Krieg nicht gestärkt
hervorgegangen. Maritim wurde nichts erreicht. Konflikt England - Irland. Die
Unabhängigkeit der Südafrikanischen Union ist größer geworden. Indien musste
Konzessionen gemacht werden. England wird auf das Äußerste bedroht. Ungesunde
Industrialisierung. Ein britischer Staatsmann kann nur mit Sorgen in die Zukunft
sehen.
Frankreichs Stellung ist ebenfalls schlecht geworden, vor allem im
Mittelmeer.
Als günstig für uns ist ferner anzusprechen:
Auf dem Balkan ist seit Albanien
das Gleichgewicht der Kräfte, Jugoslawien trägt den Todkeim des Verfalls in
sich infolge seiner inneren Verhältnisse. Rumänien ist nicht stärker geworden.
Es ist angreifbar und verwundbar. Es wird bedroht durch Ungarn und Bulgarien.
Seit dem Tode Kemals wird die Türkei von kleinen Geistern regiert, haltlose
schwache Menschen.
Alle diese glücklichen Umstände bestehen in zwei bis drei
Jahren nicht mehr. Niemand weiß, wie lange ich noch lebe. Deshalb Auseinandersetzungen
besser jetzt.
Die Gründung Großdeutschlands war politisch eine große Leistung,
militärisch war sie bedenklich, da dies erreicht wurde durch einen Bluff der
politischen Leitung. Es ist notwendig, das Militär zu erproben. Wenn irgend
möglich, nicht in einer Generalabrechnung, sondern bei einer Lösung einzelner
Aufgaben.
Das Verhältnis zu Polen ist untragbar geworden. Meine bisherige
polnische Politik stand im Gegensatz zu der Auffassung des Volkes. Meine Vorschläge
an Polen (Danzig und Korridor) wurden durch Eingreifen Englands gestört. Polen
ändert seinen Ton uns gegenüber, Spannungszustand auf die Dauer unerträglich.
Gesetz des Handelns darf nicht auf andere übergehen. Jetzt ist der Zeitpunkt
günstiger als in 2-3 Jahren. Attentat auf mich oder Mussolini könnte die Lage
zu unseren Ungunsten ändern. Man kann nicht ewig mit gespanntem Gewehr einander
gegenüber liegen. Eine uns vorgeschlagene Kompromisslösung hätte von uns verlangt
Gesinnungsänderung und gute Gesten. Man sprach wieder in der Versailler Sprache
zu uns. Die Gefahr des Prestige-Verlustes bestand. Jetzt ist die Wahrscheinlichkeit
noch groß, dass der Westen nicht eingreift. Wir müssen mit rücksichtsloser Entschlossenheit
das Wagnis auf uns nehmen. Wir stehen vor der harten Alternative zu schlagen
oder früher oder später mit Sicherheit vernichtet zu werden.