Operationsbefehl des Oberkommandos des Heeres Nr. 6 (Zitadelle)

Der "Blitzkrieg" führte 1941 zu keinem Erfolg in der UdSSR, auch 1942 konnte die Sowjetunion erfolgreich Widerstand leisten, im Winter 42/43 folgte die Niederlage von Stalingrad. Hitler wusste daher, dass der Sommer 1943 die letzte Chance bot, das Blatt noch zu wenden, vom 15.4.43 stammt der Operationsbefehl für die Sommeroffensive, durch diese Offensive sollte der Roten Armee eine entscheidende Niederlage zugefügt werden. Die Operationspläne entsprechen den in den "Blitzkriegen" von 1940 angewandten Methoden, Hitler befahl:

Ich habe mich entschlossen, sobald die Wetterlage es zuläßt, als ersten der diesjährigen Angriffsschläge den Angriff "Zitadelle" zu führen.
Diesem Angriff kommt daher ausschlaggebende Bedeutung zu. Er muß schnell und durchschlagend gelingen. Er muß uns die Initiative für dieses Frühjahr und Sommer in die Hand geben. Deshalb sind alle Vorbereitungen mit größter Umsicht und Tatkraft durchzuführen. Die besten Verbände, die besten Waffen, die besten Führer, große Munitionsmengen sind an den Schwerpunkten einzusetzen. Jeder Führer, jeder Mann muß von der entscheidenden Bedeutung dieses Angriffs durchdrungen sein. Der Sieg von Kursk muß für die Welt wie ein Fanal wirken.

Hierzu befehle ich:

1.) Ziel des Angriffs ist, durch scharf zusammengefaßten, rücksichtslos und schnell durchgeführten Vorstoß je einer Angriffsarmee aus dem Gebiet Belgorod und südlich Orel die im Gebiet Kursk befindlichen Feindkräfte einzukesseln und durch konzentrischen Angriff zu vernichten. Im Zuge dieses Angriffs ist eine verkürzte kräftesparende neue Front zu gewinnen in der Linie: Neshega - Korotscha - Abschnitt - Sfcorodnoje - Tim - ostw. Schtschigry - Ssossna - Abschnitt.

2.) Es kommt darauf an
a) das Überraschungsmoment weitgehend zu wahren und den Gegner vor allem über den Zeitpunkt des Angriffs im unklaren zu lassen,
b) die Angriffskräfte auf schmaler Breite schärfstem zusammenzufassen, um mit örtlich überwältigender Überlegenheit aller Angriffsmittel (Panzer, Sturmgeschütze, Artillerie, Nebelwerfer usw.) in einem Zuge bis zur Vereinigung der beiden Angriffsarmeen im Feind durchzuschlagen und damit den Kessel zu schließen,
c) den Angriffssturmkeilen so schnell wie möglich aus der Tiefe Kräfte zum Abdecken der Flanken nachzuführen, damit die Sturmkeile selbst nur vorwärts zu stoßen brauchen,
d) durch frühzeitiges Hineinstoßen von allen Seiten in den Kessel dem Feind keine Ruhe zu lassen und seine Vernichtung zu beschleunigen,
e) so schnell den Angriff durchzuführen, daß der Feind sich weder aus der Umklammerung absetzen noch starke Reserven von anderen Fronten heranziehen kann,
f) durch raschen Aufbau der neuen Front frühzeitig Kräfte, insbesondere schnelle Verbände, für weitere Aufgaben freizubekommen.

3.) H.Gr.Süd bricht, mit scharf zusammengefaßten Kräften aus Linie Belgorod-Tomarowka antretend, über die Linie Prilepy-Obojan durch und stellt ostwärts und bei Kursk die Verbindung mit der Angriffsarmee der H.Gr. Mitte her. Zur Abdeckung des Angriffs nach Osten ist baldmöglichst die Linie Neshega-Korotscha-Abschnitt- Skorodnoje-Tim zu erreichen, ohne daß hierdurch die schwerpunktmäßige Zusammenfassung der Kräfte in Richtung Prilepy-Obojan gefährdet wird. Zur Abdeckung des Angriffs nach Westen sind Teilkräfte anzusetzen, deren Aufgabe es zugleich ist, in den sich bildenden Kessel hineinzustoßen.

4.) H. Gr. Mitte stößt mit der Angriffsarmee, unter schärfster Kräftezusammenfassung aus Linie Trossna-nördlich Malo-Archangelsk antretend, über die Linie Fatesh-Wereitenowo, Schwerpunkt auf dem Ostflügel, durch und stellt die Verbindung mit der Angriffsarmee der H.Gr. Süd bei und ostwärts Kursk her. Zur Abdeckung des Angriffs nach Osten ist baldmöglichst die Linie Tim-ostwärts Schtschigry-Ssossna-Abschnitt zu erreichen, doch darf die Kräftezusammenfassung im Schwerpunkt dadurch nicht gefährdet werden. Zur Abdeckung des Angriffs nach Westen sind Teilkräfte anzusetzen.
Die westlich Trossna bis zur Grenze zur H. Gr. Süd eingesetzten Kräfte der H.Gr. Mitte haben mit Angriffsbeginn durch örtliche Angriffe besonders zusammengestellter Angriffsgruppen den Feind zu fesseln und frühzeitig in den sich bildenden Kessel hineinzustoßen. Durch dauernde Erdaufklärung und Luftbeobachtung ist sicherzustellen, daß der Feind sich nicht unbemerkt absetzen kann. In diesem Fall ist sofort auf ganzer Front anzugreifen.

5.) Die Bereitstellung der Kräfte beider Heeresgruppen hat unter Ausnutzung aller nur möglichen Tarnungs-, Verschleierungs- und Täuschungsmaßnahmen, weit abgesetzt von der Ausgangsstellung, so zu erfolgen, daß vom 28. 4. ab am 6. Tage nach Befehlserteilung durch OKH zum Angriff angetreten werden kann. Frühester Angriffstermin demnach 3. 5. Die Märsche zur Ausgangsstellung haben nur als Nachtmärsche unter jeder möglichen Tarnung zu erfolgen.

6.) Zur Täuschung des Gegners haben im Bereich der H.Gr. Süd die Vorbereitungen für "Panther" weiter zu laufen. Sie sind mit allen Mitteln (auffällige Erkundungen, Auftreten von Panzern, Bereitstellung von Übersetzmaterial, Funk, Agenten, Gerüchtebildung, Einsatz der Luftwaffe usw.) zu verstärken und solange wie möglich aufrechtzuerhalten. Diese Täuschungsmaßnahmen werden auch durch die ohnehin erforderlichen Maßnahmen zur Erhöhung der Verteidigungskraft der Donezfront wirkungsvoll unterstützt. (Siehe Ziffer 11.) Im Bereich der H.Gr. Mitte sind Täuschungsmaßnahmen größeren Stils nicht durchzuführen, doch ist mit allen Mitteln dem Feinde das Lagenbild zu verwischen (rückläufige und falsche Bewegungen sowie Transporte bei Tage, Ausstreuen falscher Nachrichten über Angriffstermine erst im Juni usw.). Bei beiden Heeresgruppen haben die zu den Angriffsarmeen neu zuzuführenden Verbände Funkstille zu halten.

7.) Zur Geheimhaltung sind nur die unbedingt notwendigen Persönlichkeiten in die Absicht einzuweisen. Diese Einweisung ist erst Zug um Zug so spät wie irgend möglich zu erweitern. Es muß dieses Mal auf jeden Fall erreicht werden, daß nicht wieder durch Unvorsichtigkeit oder Nachlässigkeit etwas von den Absichten verraten wird. Durch verstärkte Abwehrorgane ist auch die Feindspionage dauernd zu bekämpfen.

8.) Die Angriffskräfte haben mit Rücksicht auf die im Gegensatz zu früheren Operationen räumlich beschränkte und genau bekannte Zielsetzung des Angriffs alle für den Angriff nicht unbedingt benötigten Fahrzeuge jeder Art und jeden erschwerenden Ballast zurückzulassen! Alles andere hindert nur und kann den Angriffsschwung und das rasche Folgen der nachzuführenden Kräfte weitgehend beeinflussen. Daher muß jeder Führer durchdrungen sein, nur das zum Kampf Notwendige mitzuführen. Die Kommandierenden Generale und Div.-Kommandeure haben die Durchführung strengstens und scharf zu überwachen. Straffe Verkehrsregelung ist aufzuziehen. Sie hat rücksichtslos durchzugreifen.

9.) Die Anordnungen für die Versorgung und die sofortige restlose Erfassung der Gefangenen, Einwohner und Beute und die Propaganda in den Feind sind in der Anlage 1-3 befohlen.

10.) Die Luftwaffe wird ebenfalls alle ihre verfügbaren Kräfte schwerpunktartig einsetzen. Die Besprechungen mit den Kommando-Stellen der Luftwaffe haben sofort zu beginnen. Auf die Geheimhaltung (siehe Ziffer 7.) wird besonders hingewiesen.

11.) Für das Gelingen des Angriffs ist es von ausschlaggebender Bedeutung, daß es dem Feind nicht gelingt, uns durch Angriff an anderen Stellen der H.Gr. Süd und Mitte zum Verschieben von "Zitadelle" oder zum vorzeitigen Abziehen von Angriffsverbänden zu zwingen.

Deshalb müssen beide Heeresgruppen ebenso wie die Angriffsschlacht "Zitadelle" die Abwehrschlacht an den übrigen hauptsächlich bedrohten Frontstellen planmäßig bis Ende des Monats mit allen Mitteln vorbereiten. Es kommt dabei hauptsächlich darauf an, den Stellungsbau mit allen Mitteln zu beschleunigen, die panzergefährdeten Abschnitte reichlich mit Panzerabwehr auszustatten, örtliche Eingreifreserven bereitzustellen, durch rege Aufklärung besondere Schwerpunkte des Gegners frühzeitig zu erkennen usw.

12.) Im Endziel nach Abschluß der Operation ist beabsichtigt :
a) die Verlegung der Trennungslinie zwischen H.Gr. Süd und Mitte in die allgemeine Linie Konotop (Süd)-Kursk (Süd)-Dolgoje (Mitte),
b) der Übertritt des A.O.K. 2 mit 3 Gen.Kdos. und 9 Inf. Divn. sowie noch festzulegenden Heerestruppen von H.Gr. Mitte zu H.Gr. Süd,
c) die Bereitstellung von 3 weiteren Inf.Divn. der H.Gr. Mitte zur Verfügung OKH im Raum nordwestlich Kursk,
d) das Heraushieben sämtlicher schnellen Verbände aus der Front zu anderer Verwendung.
Diesen Absichten sind die Bewegungen, insbesondere der Verbände der 2. Armee, anzupassen.

Ich behalte mir vor, schon während der Operation je nach Verlauf der Kampfhandlungen Zug um Zug Teile der gem. Ziffer 12.) b) abzugebenden Stäbe und Verbände der H.Gr. Süd zu unterstellen.
Ich behalte mir ebenso vor, bei planmäßigem Ablauf der Operationen so schnell wie möglich aus der Bewegung zum Angriff nach Südosten (Panther) antreten zu lassen, um die Verwirrung des Feindes auszunutzen.

13.) Die Heeresgruppen melden die auf Grund dieses Operationsbefehls getroffenen Maßnahmen für Angriff und Abwehr unter Vorlage von Karten 1:300.000 mit Ansatz, Beifügung der Verteilung der Heerestruppen sowie der mit Luftflotte 4 bezw. Luftwaffenkommando Ost getroffenen Vereinbarungen zur Unterstützung des Angriffs und der Täuschungsmaßnahmen.

Die Panzerschlacht von Kursk wurde bekanntlich von der deutschen Wehrmacht nicht siegreich beendet. Am 5. Juli 1943 begann der Angriff, am 17. Juli übernahm die Rote Armee endgültig die Initiative, jedoch sollte es noch 21 Monate dauern, bis die Niederlage des nationalsozialistischen Großdeutschlands vollendet war.