Generalfeldmarschall Gerd v. Rundstedt informiert über die Erfahrungen der Truppenführung, die sie aus den Kämpfen mit den anglo-amerikanischen Streitkräften, die am 6.6. in der Normandie gelandet sind, gezogen hat. Rundstedt behandelt vor allem Fragen des Luftlandeeinsatzes, des Ablaufs der Seelandung und der Auswirkungen der anglo-amerikanischen Luftherrschaft auf die Kampfhandlungen.
1. Erfahrungen erfüllen nur dann ihren Zweck, wenn sie schnell und kurz an
die Truppe gelangen. Dies geschieht von Zeit zu Zeit durch Einzelfernschreiben.
2.
Nachstehende Erfahrungen fassen Bisheriges zusammen. Es bleibt den im Verteiler
genannten Dienststellen die Auswertung bzw. Ergänzung nach eigenem Ermessen
überlassen.
Die nachstellenden neuesten Kampferfahrungen bestätigen in groben Zügen alle die Erfahrungen, die von Sizilien, Salerno, Nettuno und den weiteren schweren Abwehrkämpfen in Italien schon bekanntgegeben wurden.
Die Nähe des engl. Mutterlandes und damit der gesamten Absprung- und Versorgungsbasen gestatteten dem Angelsachsen bei seinem ersten Großlandeangriff gegen die westliche Seinebucht und die Halbinsel Cotentin den bisher größten Aufwand an Menschen, Material und technischen Mitteln. Systematisch, beinahe wissenschaftlich betriebene Vorbereitungen auf allen Gebieten für diesen Angriff wurde dem Feinde durch ein weitmaschiges Agentennetz im besetzten Westgebiet in jeder Weise erleichtert. Die Befehle für Vorbereitung und Durchführung der Landung sind Bücher mit zahlreichen Anlagen (siehe Beutebefehl).
Die nachstehenden wichtigsten Kampferfahrungen sind zum Gegenstand der Belehrung und Übung in allen nicht angegriffenen Fronten, zur Beachtung durch Truppe und Kommando-Behörden im Kampfraum und zur Unterrichtung aller Dienststellen, Sicherungskräfte usw. im gesamten Sicherungsgebiet weiterzugeben.
I. 4 Tatsachen müssen hervorgehoben werden:
1) Völlige Luftherrschaft
des Feindes.
2) Gewandter und großzügiger Einsatz feindlicher Fallschirm-
und Luftlandetruppen.
3) Wendige, gut geleitete Unterstützung der Landtruppe
durch die Schiffs-Artillerie starker englischer Flottenverbände - vom Schlachtschiff
bis zum Gun-Boot.
4) Vorübung der feindlichen Landeverbände für ihre Aufgabe,
genaueste Kenntnis der Küste, ihrer Sperren und Verteidigungsanlagen, schnelle
Herstellung zahlenmäßiger und materieller Überlegenheit im Landekopf bereits
nach wenigen Tagen . . .
II. Das feindliche Anlandeverfahren in großen Zügen:
a) Beginn der Luftlandungen
an westl. Seinebucht und in Cotentin am 6. 6. gegen 01.00 Uhr morgens bei wolkigem,
trübem Wetter mit stärkerem Wind, teilweise Schauer und Seegang bis zu 4. Gleichzeitig
an verschiedenen Frontabschnitten starke Überflüge mit Bombenangriffen im Hinterland.
Feind wollte hierdurch Fliegeralarm und Aufsuchen der Deckungen erreichen, um
seine Fallschirmtruppen möglichst unbemerkt abwerfen zu können. An mehreren
Stellen stellten sich abgeworfene Fallschirmspringer als Strohpuppen (mit in
Holzkästen befindlichen Sprengkörpern) heraus. Zweck: Zersplitterung der örtlichen
Reserven, Abziehen von entscheidender Stelle, dadurch Zeitverlust für den Verteidiger.
Die Luftlandetruppen in zahlreichen Lastenseglern verschiedener Größe wurden
nach genau ausgearbeitetem Plan schon über See oder an ganz anderer Stelle über
Land ausgeklinkt und fanden im allgemeinen zielsicher ihre Landepunkte.
Eine
Überraschung bedeuteten diese Luftlandungen trotzdem nicht, da eigene Führung
und Truppe darauf seit Wochen eingestellt und auch bereitgestellt waren. So
erlitten die feindlichen Fallschirm- und Luftlandetruppen schwere, teilweise
sogar äußerst schwere blutige Verluste und wurden an den meisten Stellen im
Verlauf der Kämpfe vernichtet. Ein Aufbrechen der Küstenverteidigung von rückwärts
her gelang ihnen nicht! Lediglich im amerikanischen Landekopf nördl. Carentan
wurden die feindlichen Luftlandetruppen - aber durch eigenen Angriff von 3 Seiten
- in Richtung auf die Küstenverteidigung in zähen tagelangen Kämpfen zusammengedrückt
und konnten dort Verbindung mit eigenen, bereits eingebrochenen Landekräften
und dadurch Verstärkung und Entsatz bekommen. Technik und Taktik der feindlichen
Luftlandekräfte sind hoch entwickelt, Ausbildung auch für den Kampf auf hoher
Stufe, zähe, geländegewandte Kämpfer!
Es ist damit zu rechnen, daß neben
den zum eigentlichen Kampf abgesetzten Fallschirmspringern besondere Trupps
mit Sonderaufträgen (Erkundung und Meldung über Gefechtsstände, Mun.-Lager,
rückwärtige Verbindungen usw., Zerstörungen, Unterbrechungen, Überfälle) abgesetzt
werden oder sich aus den luftgelandeten Kräften abzweigen. Diese Trupps verhalten
sich völlig ruhig, um nicht aufzufallen oder in den Kampf verwickelt zu werden.
Mit genauer Ortskenntnis und Hilfsmitteln jeder Art ist zu rechnen.
b) Eigentliche Anlandung von Seeseite her begann 4-5 Stunden nach den Luftlandungen!
Feind hatte sein bisher von uns für wahrscheinlich gehaltenes Anlandeverfahren:
bei anlaufender Flut - auf Grund der von ihm erkannten starken Vorstrandsperren
geändert und auf Niedrigwasser umgestellt. Dies wurde schon einige Wochen vor
erfolgter Anlandung an Übungen in England erkannt. Feind konnte auf diese Weise
Lücken in den Vorstrandsperren erkennen, sie mit Panzern umfahren, im übrigen
die Vorstrandsperren durch eigene Spezialtrupps zum Teil (Gassen!) öffnen und
überwinden.
Wo Vorstrandsperren nicht erkannt wurden und unter Wasser standen,
entstanden schwere Feindverluste an Landungsschiffen und Menschen. Eine Verzögerung
im Tempo der Anlandung und dadurch Erhöhung der Feindverluste im eigenen Feuer
ist aber auch bei den trockenliegenden Vorstrandsperren festzustellen.
Zeit
der Anlandung von See her: Ab 06.00 Uhr morgens, also bei voller Sicht. Der
Anlandung ging 1/2 stündiges Luft- und See-Bombardement von außergewöhnlicher
Stärke und mit allen Kalibern voraus. Dies bewirkte, daß feldmäßige Anlagen
mehr oder minder eingedeckt und "umgepflügt" wurden, so daß in der
Hauptsache nur die festungsmäßigen Anlagen erhalten blieben. Durch die Zwischenräume
sickerte Feind durch, ohne zunächst sich mit der angriffsweisen Bekämpfung der
festungsmäßigen Anlagen und großen Stützpunkte zu befassen.
Diese Stützpunkte
hielten vielfach noch über eine Woche lang und zersplitterten dadurch feindliche
Kräfte. Sie haben durch ihr Aushalten bis zum Letzten wesentlich dazu beigetragen,
für die Maßnahmen der eigenen Führung Zeit zu gewinnen und einen Feinddurchbruch
aus dem Landekopf heraus zu verhindern.
c) Die feindliche Luftwaffe:
Sie beherrscht zahlenmäßig, in ihrer Reichweite
fast unbegrenzt, nicht allein das Hauptkampffeld, sondern auch die Anmarsch-
und Nachschubstraßen auf eine Tiefe von rund 150 bis 200 km. Darüber hinaus
führt der Feind mit operativen Kampfverbänden den Kampf bis in das Heimatkriegsgebiet
zur Zerstörung der großen rückwärtigen Bahnverbindungen, insbesondere Eisenbahnknotenpunkte,
Verschiebebahnhöfe, Lok.-Werkstätten, Brücken, wichtiger mit der Kriegsführung
zusammenhängender Werke usw.
Trotz des im Westen hochentwickelten Eisenbahnnetzes
und der zahllosen guten Straßen und Nebenwege ist es dem Feind gelungen, durch
den Massen- und Daueransatz seiner Luftwaffe den eigenen Nachschub und die Versorgung
so empfindlich zu stören und dabei so hohe Ausfälle an rollendem Material und
Kfz. zu bewirken, daß Nachschub und Versorgung zu einem ernsten Problem wurden.
Je
näher dem Kampfraum, desto stärker treten zur "Straßenjagd" eingesetzte
Jäger und Schlachtflieger in Erscheinung. Sie unterbinden bei gutem Wetter am
Tage und unter Einsatz von Leuchtbomben bei Nacht durch ihre Angriffe alle größeren
Bewegungen. Vorerst lag in der Tiefe des Kampfraumes der Schwerpunkt der fdl.
Luftangriffe auf den Hauptstraßen. Er erfaßt jetzt aber in einer mindestens
20 km tiefen Zone hinter der HKL jede Bewegung, sowohl auf Nebenwegen als auch
im Gelände. Wo Bereitstellungen vom Feind erkannt werden, folgt binnen kurzem
der Bombenangriff von Kampfverbänden. Für das Einhalten großer Abstände der
Kfz. innerhalb von mot. Kolonnen muß grundsätzlich gesorgt werden!
Gefechtsstände
werden durch ihre Funkstellen verraten. Die Funkstellen müssen daher räumlich
so weit abgesetzt vom Gefechtsstand sein, daß Bombenteppiche oder Reihenwürfe
den Gefechtsstand nicht mit zudecken. Wo keine festungsmäßigen Gefechtsstände
vorhanden sind, müssen die Gefechtsstände häufig gewechselt werden. Vorausschauende
Erkundung daher nötig, ebenso Bekanntgabe an die zuständigen Kdo.-Behörden,
damit der betreffende Gefechtsstand gefunden wird.
In 2½ Tagen wurden bei
einer Breite des feindl. Landekopfes von rund 100 km 29.000 Einflüge gezählt;
hiervon entfallen pro Tag rd. 2.300 auf Flugzeuge, die im Tiefangriff jede Bewegung
auf der Erde mit Bomben und Bordwaffen - selbst den einzelnen Soldaten - bekämpfen.
Für die deutschen Militärs war die Situation also erkennbar, aber als Reaktion kommt man nicht zur Folgerung, dass es sinnlos ist, den Krieg fortzusetzen, sondern die obersten Militärs befassen sich mit Angelegenheiten eine Etage tiefer, z.B. wo Funkstellen zu plazieren wären ...