Die NSDAP aus interner Sicht

Der Gauleiter und Reichsstatthalter von Bremen und Oldenburg, Carl Röver (1889-1942), verfasste kurz vor seinem Tode 1942 eine Denkschrift über den Zustand der NSDAP, in der er eine Reihe von ihm als Mängel und Schwächen erscheinende Umstände aufzählte. Er wollte, dass seine Schrift an Hitler weitergeleitet wird, was aber nicht geschah, der Bericht gelangte nur bis Bormann, der nichts dazu veranlasste.
Die NSDAP hatte keine eigenständige Funktion, da es keine Einrichtungen der Willensbildung oder auch nur Diskussion gab, war die Partei die Organisation der staatlichen Hoheitsträger und ein hierarchisch-militärisches Instrument des Vollzuges.
Röver kritisierte darum u.a.:

Kompetenzverteilung:
Die Vielheit der Zuständigkeiten hat zur Folge, dass unter Aufwand erheblicher Mittel zahlreiche Kräfte in den fortgesetzten Kompetenzauseinandersetzungen unproduktiv und nutzlos tätig sind. Der Erfolg wird in Frage gestellt und die nachgeordneten Dienststellen wissen schließlich nicht mehr, nach wem sie sich richten sollen. Sie werden gleichgültig und können teilweise die sich widersprechenden Anordnungen gar nicht befolgen. Die Folge hiervon ist, dass wichtige und unwichtige Angelegenheiten gleichermaßen behandelt werden, d.h. wichtige Sachen bleiben genauso unberücksichtigt und unerledigt wie unwichtige. Es kommt hinzu, dass hierdurch der Respekt vor den vorgesetzten Dienststellen erklärlicherweise verloren geht. Es ist kein Geheimnis, dass, je höher die Dienstelle, desto verworrener und unklarer die Aufgabenabgrenzung ist.

Ungeeignete Führer:
Bei dem Inhaber eines Führungsamtes, der keine Persönlichkeit ist und darüber hinaus charakterliche Schwächen besitzt, mangelt es erstens an sachlichen Leistungen, zweitens bestellt er Hohlköpfe, Dummköpfe und meistens ebenfalls mit charakterlichen Mängeln behaftete Mitarbeiter, und diese handeln dann wieder gleichermaßen, so dass keinerlei Leistungsergebnis erzielt wird und, was noch weit schlimmer ist, die ganze Macht in den Händen von Nichtskönnern und charakterlich defekter Menschen liegt. Es entspricht der Wesensart dummer Menschen, dass sie ihre Stellung durch die Auswahl geistesverwandter Mitarbeiter und durch ein meisterhaft inszeniertes Intrigenspiel zu festigen trachten, was ihnen meistens auch gelingt. Wenn ein Führer die ihm entgegengebrachte Treue mit Pflichtenvergessenheit, charakterlosen Handlungen oder ähnlichem vergilt, dann müssen die entsprechenden Konsequenzen gezogen werden.

Mitgliederauswahl:
Es ist deshalb sehr notwendig, dass eine Bewegung aus reinem Selbsterhaltungstrieb heraus, sowie sich der Erfolg auf ihre Seite stellt, sofort die Mitgliederaufnahme sperrt und weiterhin nur mehr mit äußerster Vorsicht und nach gründlichster Prüfung eine Vergrößerung ihrer Organisation vornimmt. Es wird notwendig sein, den ganzen Parteiapparat zu überholen und jeden einzelnen Parteigenossen ganz besonders auf seine weltanschauliche Haltung und Einsatzbereitschaft zu überprüfen. Man sollte sich aber keiner Täuschung hingeben, dass dies gegenwärtig keineswegs der Fall ist.

Zur Auslese:
Die Kampfzeit war ein natürlicher Ausleseprozess. Sie brachte es mit sich, dass jeder Politische Leiter sich als Kämpfer bewähren musste. Es ist meines Erachtens eine Lebensfrage für die Partei, darauf zu achten, dass der hauptamtliche Führernachwuchs nicht auf Ordensburgen und ähnlichen Institutionen herangezüchtet wird, sondern dass auch die hauptamtlichen Politischen Leiter mit dem praktischen Leben vertraut sind.
Die gegenwärtige Erziehung des Parteiführernachwuchses weist aber diese Tendenz auf und stellt sich, chronologisch gesehen wie folgt dar: der Nachwuchsschüler besucht die Adolf-Hitler-Schule, anschließend leistet er seine Arbeits- und Wehrdienstzeit ab. Danach kommt er zur Ordensburg und wird nach dieser Ausbildungszeit als geeignet angesehen, auf die Menschheit losgelassen zu werden. Ein solcher Mann hat also die ganze Entwicklungszeit seines Lebens in Internaten zugebracht, das Ergebnis ist, dass diese Menschen der wirklichen Volksgemeinschaft total entfremdet sind. Ich habe in vielen Fällen feststellen müssen, dass Parteigenossen, die an sich gute Anlagen besaßen, nach dem Besuch der Ordensburgen sich zu überheblichen, teilweise sogar arroganten Typen entwickelt haben.

Zum Führerprinzip:
Das Führerprinzip birgt die Gefahr in sich, dass der einzelne Führer sich zum politischen Despoten entwickelt, der keine andere Meinung neben sich duldet, jede begründete Kritik und jeden noch so berechtigten Einwand unterdrückt. Je größer das Reich wird, um so weiter ist die oberste Reichsführung von den Gauen entfernt, so dass vom Reich allein die notwendige Aufsicht nicht ausgeübt werden kann. Wenn der einzelne sich zum Tyrannen entwickelt, wagt keiner, gegen ihn aufzutreten, und auf die Dauer werden nur ausgemachte Speichellecker und Höflinge sich in seiner Umgebung befinden, es muss m. E. in Erwägung gezogen werden, dass das Führerprinzip nicht verwässert wird. Ich denke hierbei an einen Gausenat, der mit gewissen Vollmachten ausgestattet ist, und der sich aus Männern des Gaustabes und einigen Kreisleitern zusammensetzen muss.

Der höhere Parteiführerkorps:
Die Gauleiter und Reichsleiter müssen laufend zu Tagungen zusammenkommen. Die Auffassung des Reichsorganisationsleiters, dass solche Tagungen nur dafür da sind, um in schulungsmäßiger Art allein Vorträge entgegenzunehmen, eine Aussprache dagegen nicht notwendig, unzweckmäßig und mit nationalsozialistischen Grundsätzen nicht zu vereinbaren sei, kann ich nicht teilen.

Die Verbände:
Die SA ging unter Führung des Verräters Röhm jenen unheilvollen Weg, der zum 30. Juni 1934 führte. Von diesem Schlag hat sich die SA eigentlich bis heute nicht wieder erholt bzw. hat die Führung der SA offenbar alle Gelegenheiten verpasst, ihr eine ihrer traditionellen Entwicklung entsprechende Aufgabe zu sichern. Ich vertrete die Auffassung, dass unsere SA die berufene Organisation ist, den Wehrgeist im deutschen Volke zu mobilisieren, stets wach zu halten und zu festigen.
Die HJ müsste wieder eine reine Gliederung der Partei werden, die sich ausschließlich auf die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft aufbaut, damit die Idealisten und einsatzbereiten Jungen und Mädel von vornherein den festen Willen erwerben, sich später in der Partei weiterhin kämpferisch zu betätigen. Wir wollen und müssen wieder eine wirkliche Parteijugend haben.