Hitler-Stalin-Pakt

Der im August 1939 ausgehandelte und abgeschlossene Vertrag zwischen Großdeutschland und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken hatte seine Ursache auch außerhalb der beiden vertragschließenden Seiten. Die Überschätzung der eigenen Kräfte durch Polen und das Lavieren der Westmächte förderten auf der deutschen Seite die Vermutung, man könne sich die UdSSR vom Leibe halten, wenn man sie vor dem Krieg gegen Polen in diesen einbindet (indem man die baltischen Staaten und die einstens ebenfalls zum Zarenreich gehörige Westukraine der Sowjetunion zukommen lässt), weswegen es sich die Westmächte sehr überlegen werden, ihren vertraglichen Beistandsverpflichtungen mit Polen nachzukommen. Was auch eine im Prinzip richtige Sicht der Dinge war, zwar wurde Deutschland von Frankreich und England der Krieg erklärt, aber es wurde im Westen kein Krieg geführt, Deutschland konnte sich auf Polen konzentrieren.
Nachdem es der UdSSR nicht gelungen war, mit Polen und den Westmächten Einvernehmen herzustellen, schien für die UdSSR der Vertrag einerseits die Wiederherstellung des Staates beinahe auf die Größe wie vor dem Ersten Weltkrieg zu bringen (lediglich das einst auch zum Zarenreich gehörende Finnland blieb außerhalb) und damit das Vorfeld nach Westen wesentlich vergrößern und andererseits zumindest einen Zeitgewinn zu bringen. Dass von Stalin diese Möglichkeiten nicht entsprechend genutzt wurden und er auf die Vertragstreue Hitlerdeutschlands setzte, weil er der britischen Regierung mehr misstraute als der deutschen, war eine große Tragik dieses Krieges.
Der Vertrag zwischen Deutschland und der Sowjetunion gab Hitler freie Hand.
Auch die Westmächte hatten zum Entstehen dieser Situation nicht unwesentlich beigetragen und handelten weiter so wirkungslos wie bisher, Hitler hatte aus dem Westen keinen Angriff zu befürchten, vielmehr war er in der Lage, 1940 auch dort die Initiative zu ergreifen, die er bis zum Scheitern des Angriffs auf Moskau gegen Ende 1941 nicht abgeben musste.

Der Vertragstext

Die Deutsche Reichsregierung und die Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, geleitet von dem Wunsche, die Sache des Friedens zwischen Deutschland und der UdSSR zu festigen und ausgehend von den grundlegenden Bestimmungen des Neutralitätsvertrags, der im April 1926 zwischen Deutschland und der UdSSR geschlossen wurde, sind zu nachstehenden Vereinbarungen gelangt:
Artikel I:
Die beiden vertragsschließenden Teile verpflichten sich, sich jeden Gewaltakts, jeder aggressiven Handlung und jedes Angriffs gegeneinander, und zwar sowohl einzeln als auch gemeinsam mit anderen Mächten, zu enthalten.
Artikel II:
Falls einer der vertragsschließenden Teile Gegenstand kriegerischer Handlungen seitens einer dritten Macht werden sollte, wird der andere vertragsschließende Teil in keiner Form diese dritte Macht unterstützen.
Artikel III:
Die Regierungen der beiden vertragsschließenden Teile werden künftig fortlaufend zwecks Konsultation in Fühlung miteinander bleiben, um sich gegenseitig über Fragen zu informieren, die ihre gemeinsamen Interessen berühren,
Artikel IV:
Keiner der beiden vertragsschließenden Teile wird sich an einer Mächtegruppierung beteiligen, die sich mittelbar oder unmittelbar gegen den anderen Teil richtet.
Artikel V:
Falls Streitigkeiten oder Konflikte zwischen den vertragsschließenden Teilen über Fragen dieser oder jener Art entstehen sollten, werden beide Teile diese* Streitigkeiten oder Konflikte ausschließlich auf dem Weg freundschaftlichen Meinungsaustausches oder nötigenfalls durch Einsetzung von Schlichtungskommissionen bereinigen.
Artikel VI:
Der gegenwärtige Vertrag wird auf Dauer von zehn Jahren abgeschlossen mit der Maßgabe, daß, soweit nicht einer der vertragsschließenden Teile ihn ein Jahr vor Ablauf dieser Frist kündigt, die Dauer der Wirksamkeit dieses Vertrags automatisch für weitere fünf Jahre als verlängert gilt.
Artikel VII:
Der gegenwärtige Vertrag soll innerhalb möglichst kurzer Frist ratifiziert werden. Die Ratifiaktionsurkunden sollen in Berlin ausgetauscht werden. Der Vertrag tritt sofort mit seiner Unterzeichnung in Kraft.
Angefertigt in doppelter Urschrift, in deutscher und russischer Sprache.
Moskau, am 23. August 1939
Für die Deutsche Reichsregierung: v. Ribbentrop
In Vollmacht der Regierung der UdSSR: W. Molotow

Geheimes Zusatzprotokoll:

Aus Anlaß der Unterzeichnung des Nichtangriffsvertrags zwischen dem Deutschen Reich und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken haben die unterzeichneten Bevollmächtigten der beiden Teile in streng vertraulicher Aussprache die Frage der Abgrenzung der beiderseitigen Interessensphären in Osteuropa erörtert. Diese Aussprache hat zu folgendem Ergebnis geführt:
1. Für den Fall einer territorial-politischen Umgestaltung in den zu den baltischen Staaten gehörenden Gebieten (Finnland, Estland, Lettland, Litauen) bildet die nördliche Grenze Litauens zugleich die Grenze der Interessensphären Deutschlands und der UdSSR, Hierbei wird das Interesse Litauens an dem Wilnaer Gebiet beiderseits anerkannt.
2. Für den Fall einer territorial-politischen Umgestaltung der zum polnischen Staate gehörenden Gebiete werden die Interessensphären Deutschlands und der UdSSR ungefähr durch die Linie der Flüsse Narew, Weichsel und San abgegrenzt.
Die Frage, ob die beiderseitigen Interessen die Erhaltung eines unabhängigen polnischen Staates erwünscht erscheinen lassen und wie dieser Staat abzugrenzen wäre, kann endgültig erst im Laufe der weiteren politischen Entwicklung geklärt werden. In jedem Falle werden beide Regierungen diese Frage im Wege einer freundschaftlichen Verständigung lösen.
3. Hinsichtlich des Südostens Europas wird von sowjetischer Seite das Interesse an Bessarabien betont. Von deutscher Seite wird das völlige politische Desinteressement an diesen Gebieten erklärt.
4. Dieses Protokoll wird von beiden Seiten streng geheim behandelt werden.
Moskau, den 23. August 1939
Für die Deutsche Reichsregierung: v. Ribbentrop
In Vollmacht der Regierung der UdSSR: W. Molotow


Vertragsbeilage, von Stalin und Ribbentrop abgezeichnete Landkarte mit den neuen Grenzen