Die Angst vor der Moderne und der Antisemitismus

Der Antisemitismus beruht ja nicht auf bloßen Hirngespinsten, auch dazu gilt Marxens Erkenntnis, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt. Darum hier Auszüge aus den einleitenden Kapiteln des Buches "Hitler - Die Deutschen und ihr Führer" von Rafael Seligmann. Der israelisch-deutsche Autor und Historiker fasst darinnen auch die seins- und bewußtseinsmäßigen Ursachen des deutschnationalen Antisemitismus zusammen, die Angst vor der Aufklärung, vor der Vernunft, vor der Moderne.

Die unbedingte Gefolgschaft der Bevölkerung war die Grundlage der Herrschaft Hitlers.

Die Deutschen schenkten Hitler ihr Vertrauen. Nur dadurch war er fähig, seine Weltauffassung, seine Politik, seinen Hass, seinen Krieg und seine Verbrechen zu jenen seines Volkes zu machen. Machiavelli nennt Liebe oder Angst als wirksamste Instrumente zur Sicherung von Macht. "Am besten" aber, so der Florentiner Philosoph, sei es, "zugleich geliebt und gefürchtet" zu werden. Eben dieses Gefühlsamalgam verband die Deutschen mit Hitler. Warum? Was vermittelte der Mann aus Braunau seinem Volk?

Hitlers Anziehungskraft wird bis heute mit seinem "Charisma" erklärt. Charisma, so Max Weber, sei die übernatürliche Fähigkeit einer Person, Einfluss auf andere auszuüben. Hitler gebrauchte den Begriff Vorsehung. Auf diese Weise sollte ein mythisches Band zwischen dem Volk und seinem Führer geknüpft werden. Die Verflechtung der Deutschen mit Hitler war jedoch keineswegs überirdisch. Wie bei jeder dauerhaften Liebesbeziehung gab es auch in diesem Fall zunächst eine spontane Bindung. Sie entsprang geteilten mythischen Gefühlen. Daneben aber bestand auch eine handfeste Grundlage. Das gemeinsame Interesse der Deutschen und Hitlers war das Alibi seines Charismas.

Das Bindeglied zwischen Führer und Volk war die Angst vor der Moderne.

Die Moderne bezeichnet das Bestreben, Denken und Handeln an zweckmäßiger Vernunft zu orientieren. Dadurch werden Erwägungen und Taten nachvollziehbar und kontrollierbar. Diese Einstellung erfordert eine selbstbewusste Ablehnung metaphysischer Tröstungen und Ausreden für das eigene Versagen.

Aufgrund von Geschichte und Geografie konnte das Denken der Moderne in Deutschland nie seine volle Kraft entfalten. Anfang des 19.Jahrhunderts wurde durch Napoleons Grenadiere den Deutschen kurzfristig das Denken der Aufklärung aufgenötigt. Das Kind des vernunftgemäßen Denkens wurde in Deutschland jedoch bald darauf mit dem Bad der Befreiungskriege im hohen Bogen wieder ausgeschüttet. Die überwiegende Mehrheit des deutschen Bürgertums beliebte, sich an dem Idealismus Fichtes, Arndts und der neu erfundenen germanischen Mythenwelt Richard Wagners zu orientieren, ja dorthin zu flüchten, statt die eigene politische, soziale und kulturelle Wahrnehmung nüchternen Kriterien zu unterziehen.

Diese Einstellung verstärkte sich infolge des Traumas des verlorenen Ersten Weltkriegs und der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krise ab Ende der zwanziger Jahre. Statt die anstehenden Schwierigkeiten rational anzugehen und schließlich aus der Welt zu schaffen, berauschten sich die Deutschen an der Droge des Chauvinismus, die bereits für ihre Misere im Weltkrieg und danach mitverantwortlich war.

Die Deutschen fühlten sich und waren tatsächlich durch die Moderne*) bedroht - da sie sich weitgehend den Prinzipien der nachvollziehbaren Vernunft verschlossen. Auch Adolf Hitler verstand sich als Opfer der Moderne, er gab ihr die Schuld an seinem bisherigen Scheitern. So verliehen Hitler und seine Bewegung der Angst des deutschen Bürgertums eine authentische Stimme.
*) auch die katholische Kirche trat massiv gegen die Moderne auf, allerdings mit einem mittelalterlichen, feudalistischen Hintergrund.

Der NS-Chef nannte den Deutschen als exklusiven Grund ihrer Misere die Juden.

Juden waren in der Tat die unbestrittenen Nutznießer der Moderne, ganz gleichgültig, ob als Demokraten, Kapitalisten, Intellektuelle oder Kommunisten.

Adolf Hitler begnügte sich nicht damit, die Juden anzuprangern. Er führte vielmehr sein Volk in den Befreiungskrieg gegen die Juden. Damit aktivierte Hitler den in Deutschland schlummernden Antisemitismus. In der Tat verkörperten und propagierten die Juden stärker als jede andere Gruppe die Moderne. Damals bestanden, was heute meist verschwiegen wird, erhebliche wirtschaftliche, gesellschaftliche und geistige deutsch-jüdische Gegensätze. Diese von den Nazis angeheizten Konflikte eskalierten zum Krieg der Mehrheit gegen die Minderheit, der in einem kühl exekutierten Massenmord endete. (..)

Die taktische Modernität der Kriegsführung Hitlers, seine Begeisterung und die seiner Mitstreiter für die neueste Technik in Propaganda, Massenmobilisierung und Kriegswaffen lässt bis heute viele nicht erkennen, dass den Nazis und ihrem Führer diese modernen Instrumente lediglich als Mittel ihrer Vernichtungskampagne gegen das moderne Denken und seine Träger dienten. Das Ziel Hitlers aber stand unverbrüchlich fest: die Rückkehr zur Scholle, zur verklärten Welt der Germanen. (..)

Die NS-Propaganda suggerierte eine Einheit von Volk und Führer: "Deutschland ist Hitler und Hitler ist Deutschland." Die Totalität ist übertrieben, doch unstreitig ist, dass Hitler seine Wirkung nur im Verein mit den Deutschen entfalten konnte. (..)

Adolf Hitlers erste öffentliche Auftritte und sein politischer Erfolg setzten nicht von ungefähr mit antijüdischer Agitation ein. Die heute vielfach beschworene deutsch-jüdische Symbiose ist ein nostalgischer Abgesang. Eine gut gemeinte, jedoch irreführende Verklärung, die einer unvoreingenommenen Aufarbeitung der Geschichte entgegensteht. Tatsächlich herrschte in der Folge des Ersten Weltkriegs ein anschwellender deutsch-jüdischer Krieg. Er speiste sich aus einem realen Interessenskonflikt und wurde durch alte Mythen befeuert.

Die Deutschen waren keine eliminatorischen Antisemiten, wie rückwärts gewandte Propheten uns heute weismachen wollen. Deutschlands Juden blickten auf eine 1700-jährige Geschichte zurück. Trotz sporadischer Verfolgung und kontinuierlicher Diskriminierung hatten die Deutschen im Gegensatz zu anderen europäischen Nationen - etwa England, Spanien, Portugal und Frankreich - die Juden nicht vertrieben. Mit der Reichsgründung von 1871 erlangten die deutschen Juden schließlich die Emanzipation. Doch der von den Juden ersehnte legale Durchbruch erwies sich als Beginn eines katastrophalen historischen Prozesses.

Die Juden waren ihren deutschen Landsleuten im Durchschnitt weit überlegen.

Ihre Tüchtigkeit rührte aus einem Bündel von Ursachen: Sie pflegten seit der Antike das Studium der Bibel und deren Begleitschriften. Ihr geschulter Geist verlieh ihnen einen Vorsprung gegenüber den Nichtjuden, bei denen die Alphabetisierung der Masse erst im 19.Jahrhundert eingesetzt hatte.

Den Juden war es im Allgemeinen nicht erlaubt, Land zu bebauen. Die Weigerung der Zünfte Juden aufzunehmen, erhöhte zwangsläufig ihre Mobilität. Ständige Benachteiligung und die latente Gefahr von Verfolgungen steigerten die Flexibilität und die Fähigkeit, sich rasch auf neue Situationen einzustellen.

Da den Christen lange Zeit Zinsnahme verboten blieb, entwickelte sich das Geldgeschäft zu einer jüdischen Domäne. Finanztransaktionen erfordern rationales Denken und Handeln, ständige Lernbereitschaft sowie hohe Anpassungsfähigkeit.

Fazit: Die Notwendigkeit zum modernen Denken verlieh den Juden einen Vorsprung gegenüber ihrer nichtjüdischen Umgebung, einen, wie es vielen schien, uneinholbaren Vorsprung.

Die Tüchtigkeit und der Eifer der zu spät emanzipierten Juden in Deutschland entsprachen jenen der Deutschen in der internationalen Arena. Beide drängten unentwegt vorwärts und machten sich dadurch unbeliebt. Streber werden verachtet, weil man ihren Erfolg neidet.

Nicht einmal jeder hundertste Deutsche war Jude (0,7 Prozent der Bevölkerung). Umso bemerkenswerter waren die objektiven Leistungen der Juden. Ein Viertel der deutschen Nobelpreisträger, sechs Prozent der Richter und Staatsanwälte, sieben von hundert Ärzten, mehr als acht Prozent der Journalisten und Schriftsteller und 15 Prozent der Rechtsanwälte und Notare waren Juden. Berlin war das wichtigste jüdische Zentrum Deutschlands, ja Europas. Dort lebten am Ende des Ersten Weltkriegs mehr als 170 000 Juden, 4 Prozent der Einwohnerschaft. Knapp die Hälfte der niedergelassenen Anwälte und mehr als ein Fünftel der selbstständigen Ärzte in der Hauptstadt waren jüdischer Herkunft. Im Textilhandel besaßen jüdische Firmen einen Marktanteil von nahezu 40 Prozent. Die großen Kaufhausketten gehörten deutschlandweit zu vier Fünfteln jüdischstämmigen Familien. Ein Drittel der hundertfünfzig Berliner Privatbanken befanden sich in jüdischem Besitz. Die erfolgreichen Verlage S. Fischer, Schocken sowie die Zeitungshäuser Ullstein und Mosse hatten jüdische Eigentümer. Im kulturellen Leben spielten Juden eine herausragende Rolle: Der Sezessionsmaler Max Liebermann war ab 1920 Präsident der Preußischen Akademie der Künste. Seit 1914 leitete der spätere Nobelpreisträger Albert Einstein das Kaiser-Wil-helm-Institut für Physik. Der Chemiker Fritz Haber wurde ebenfalls Nobelpreisträger. Im Krieg entwickelte er Giftgase.

Trotz oder gerade wegen ihrer Erfolge wurden die Juden von der breiten Mehrheit der deutschen Bevölkerung nicht als ihresgleichen akzeptiert. Viele Deutsche nahmen sie als Fremde wahr oder sahen sie als ihre Feinde an - die Übergänge waren fließend. Die Juden unternahmen teilweise groteske Bemühungen, durch Anpassung als Deutsche anerkannt zu werden. (..)

Der deutsch-jüdische Konflikt war kein religiöser Zwist - auf beiden Seiten schwand die Glaubensbereitschaft rapide - und schon gar kein Rassenkrieg - Deutsche und Juden waren ordentlich "durchrasst" und durchmischt, sondern eine gesellschaftliche Auseinandersetzung, die ihren Ursprung in der unterschiedlichen geistigen und damit sozialen Prägung beider Gruppen hatte.

Die Unterlegenheit der nichtjüdischen deutschen Gesellschaft gegenüber den Juden entsprang einem unentwirrbaren geografisch-historischen Geflecht. Germanien, später Deutschland, war Gefangener seiner Position im Zentrum Europas. Jede Armee, die sich seit den Römertagen erobernd von Norden nach Süden, von Osten nach Westen oder umgekehrt aufmachte - Hunnen, Schweden, Russen, Franzosen -, musste notgedrungen Deutschland passierend einnehmen. Ein Ergebnis war die politische Zersplitterung Deutschlands. Der deutsche Kaiser war ein politisches Leichtgewicht.

Als Folge des Westfälischen Friedens von 1648 wurden die im Dreißigjährigen Krieg weitgehend zerstörten deutschen Lande politisch in knapp dreihundert Teile atomisiert. Eine einheitliche geistige Entwicklung war unmöglich. Die deutschen Höfe, der höhere Adel orientierten sich nach Frankreich. Bürgertum und Bauern wurden auf sich zurückgeworfen.

Keine Befreiung aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit.

Deutschland hatte seinen Immanuel Kant. Doch dem Königsberger Philosophen konnte es nicht gelingen, die Menschen seines Landes aus ihrer "selbstverschuldeten Unmündigkeit" durch "Aufklärung" zu befreien. Zu gespalten war ihr Land, zu immobil und ohne Einwirkungskraft blieb sein Bürgertum. In der französischen Gesellschaft dagegen gewann das aufklärerische Verständnis, Herausforderungen vernunftgemäß zu analysieren und zu lösen, zunehmend Einfluss. In Deutschland wiederum brachte die Französische Revolution die Rationalität des modernen Denkens in Verruf - soweit man bislang davon überhaupt Kenntnis genommen hatte. Ein großer Geist wie Goethe erkannte die Freiheitskraft, die die Proklamation der Menschenrechte mit sich brachte. Doch die Mehrheit des deutschen Bildungsbürgertums genügte sich wie der philosophierende Theologe Johann Gottfried Herder im Entsetzen über die "fürchterliche Unordnung der Dinge" und ein "wahnsinniges Volk und eines wahnsinnigen Volkes Herrschaft". "Was in Frankreich geschehen ist, kann und darf uns nicht zum Muster dienen", warnte im selben Tenor der Dichter Christoph Martin Wieland. Die im modernen Denken ungeübten Gehirne der deutschen Intellektuellen waren vom Chaos und der Gewalt der Revolution dermaßen entsetzt und blockiert, dass sie unfähig waren, sich mit der ihr zugrunde liegenden Kraft der Vernunft auseinander zu setzen.

Als die Grenadiere Napoleons, der zugleich Kind und Totengräber der Revolution war, die deutschen Armeen besiegten und ihre Länder besetzten, waren die Prinzipien der modernen Vernunft hierzulande endgültig diskreditiert. Die Demütigung der französischen Okkupation brachte anstelle der Ratio, die man mit französischer Unterdrückung gleichsetzte, den schlummernden deutschen Nationalismus zum Durchbruch. Dabei wurden germanische Mythen mit christlichen Ingredienzien zu einem irrationalen nationalistischen Gebräu vergoren.

Der Philosoph Johann Gottlieb Fichte stilisierte in seinen Reden an die deutsche Nation (1807/08) die Deutschen zum Urvolk, auserwählt, die Menschheit geistig zu veredeln. Im gleichen Tenor verschmolz der Dichter Ernst Moritz Arndt Christentum und deutschen Nationalstolz zu einem "blutigen Schwert der Rache".

Wohlan, Deutschlands Männer konnten dermaßen geistig aufgerüstet in die Befreiungskriege ziehen und diese gewinnen. Das mythenbestimmte, irrationale Denken richtete sich keineswegs allein nach außen, gegen die französische Besatzungsmacht. Im Inland erkor man in Anlehnung an das Mittelalter die Juden zu altneuen Feinden. Sie bildeten einen "mächtigen, feindseligen Staat, der mit allen übrigen im beständigen Kriege stehe", meinte Fichte zu wissen. (..)

Die Kraft der Vernunft blieb nachhaltig verfemt. Deutschland verharrte für die nächsten anderthalb Jahrhunderte in einem nationalistischen Rausch. Unter dem Kater litten die Deutschen wie ihre europäischen Nachbarn.

Die Revolution von 1848.

Die März-Revolutionäre von 1848 stiegen in Deutschland wie anderswo für die Freiheit auf die Barrikaden. Doch nach wenigen Jahren landete der überwiegende Teil des Bürgertums, selbst der Liberalen, in den Armen Bismarcks. Die Verheißung eines deutschen Nationalstaats wog schwerer als das rationale Konzept von bürgerlicher Freiheit und Demokratie.

Kanzler Otto von Bismarck war ein klar denkender, rational handelnder Politiker. Das von ihm zusammengeschweißte Reich indessen wurde von Kräften im Junker- und Bürgertum mitgetragen, die sich aufgrund ihres mythischen, pseudogermanischen Denkens in einem fortwährenden Kampf gegen äußere und innere Erbfeinde befanden.

Als Spiritus Rector des irrationalen, rückwärts orientierten Denkens stilisierte sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts Richard Wagner. Der Komponist gab sich als Gralshüter einer von ihm entwickelten neogermanischen Kultur, von der alles Fremde ausgeschlossen blieb. Wagners Musik und seine Sagenwelt sprachen immer mehr Deutsche an, die auf der Suche nach einer Identität waren, an der sie ihr wachsendes nationales Selbstbewusstsein orientieren konnten. Richard Wagner beschränkte sich jedoch nicht auf die Schaffung von Opern. In seiner 1850 zunächst unter dem Pseudonym K. Freigedank veröffentlichten Broschüre Das Judenthum in der Musik geriert sich der Autor als Sprachrohr von "Empfindungen, die im Volke als innerlichste Abneigung gegen jüdisches Wesen" verbreitet seien. Was als jüdische Kunst ausgegeben werde, sei "unwillkürlich abstoßend". Die Sprache der Juden, die ihrem Charakter entspreche, "widert uns [an]". Den "gottesdienstlichen Gesang" der Juden wiederum dämonisiert Wagner als "Fratze".

Wagners Resümee ist eine Warnung an das Volk und insbesondere dessen Musiker vor einer "Verjüdung". Ansonsten würde es als "Würmer zerfressende Leiche" enden. Wagners Antisemitismus traf sich mit den latenten Vorurteilen vieler. So wurde dessen Judenthum-Schrift bis 1914 rund eine Million Mal verkauft.

Solange Bismarck im Amt war und der liberale Kronprinz Friedrich Wilhelm seine Handlungsfähigkeit behielt, blieb der Einfluss der Irrationalisten begrenzt. Die Thronbesteigung Wilhelm II. und die nachfolgende Entlassung Bismarcks (1890) aber markierten einen Wechsel des geistigen Klimas in Deutschland. Anstelle des kühl kalkulierenden Machtingenieurs Bismarck trat mit Wilhelm II. die Personifikation neudeutscher Schneidigkeit. Der Kaiser gab sich herrisch und betonte gerne seine und Deutschlands militärische Macht. (..)

Nichts verdeutlicht so sehr die Verwirrung deutschen Denkens in der Wilhelminischen Epoche wie der von breiten Kreisen geteilte Slogan des Kaisers vom Streben nach einem "Platz an der Sonne". Deutschland war die größte Wirtschaftsmacht, es besaß die effektivste Armee Kontinentaleuropas, seine Hochschulen und seine Technologie waren weltweit führend. Dennoch nagte mangelndes Selbstwertgefühl an Kaiser und Volk. Sie glaubten sich zurückgestellt und wollten permanent alle anderen überflügeln und überragen. Auf diese Weise steuerte man Deutschland in die Rivalität mit allen Weltmächten. Allein an der maroden k. u. k. Monarchie hielt man in "Nibelungentreue" fest und ließ sich von ihr in den Weltkrieg gegen eine überlegene Koalition ziehen.

Als es so weit war, meinte der Kaiser: "Jetzt spricht das Schwert. Politik hat das Maul zu halten." Damit bewies Wilhelm II. die Irrationalität seines Denkens. Durch die Aufgabe der politischen Option entzog er sich selbst als Monarch die Geschäftsgrundlage.

Der Eintritt Deutschlands in den Krieg und die Unterwerfung des Reichs waren die Folge eines politischen Versagens, dessen Ursache in einem Denken lag, das sich nicht an der Vernunft orientierte.

Mit der Niederlage im Krieg verloren viele Deutsche, unter ihnen der heimatlose österreichische Zuwanderer Adolf Hitler, die Orientierung. Die Schuld daran gaben sie nicht ihrer bisherigen Geisteshaltung und ihrem Handeln, das sie und ihr Land in die Katastrophe geführt hatte, sondern auf bewährte Weise den Kräften der Verschwörung. Äußeren und inneren Feinden, unter denen man den Juden eine Schlüsselstellung einräumte.

So eskalierte der latente deutsch-jüdische Konflikt zum Krieg.

Der Streit der Interessen wurde verschärft durch den Zwist des Weltverständnisses. Die deutschen Mystiker bliesen zum Feldzug gegen das moderne "verjudete" Denken. Zu ihrem Fahnenträger schwang sich Adolf Hitler auf. Durch sein zur Schau getragenes Weltbild sowie die Hemmungslosigkeit seiner Reden und seines Auftretens gelang es Hitler, eine dynamische Gefolgschaft in Deutschland einzufordern. Innerhalb eines Dutzends Jahre wurde Hitler so zum populärsten deutschen Politiker. Die Deutschen und ihr zukünftiger Führer wuchsen zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammen. Sie wurden von den gleichen Werten, Ressentiments und Wunschvorstellungen geleitet.

(Siehe dazu auch die Zusammenfassung über Hitlers Beschreibung der Rolle der Juden in "Mein Kampf")